„Doppelleben“

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Ausgelassenheit und tiefe Trauer: Der Kölner Christoph Kuckelkorn kennt beides. Er führt eins der größten Bestattungsunternehmen Deutschlands, gleichzeitig gibt er den Präsidenten des Festkomitee Kölner Karneval. Jetzt liegt seine Autobiografie vor. theo-Autorin Brigitte Schmitz-Kunkel traf den umtriebigen Macher zum Gespräch.

1/2020

Man lasse sich nicht verwirren – der Umschlag ist eine kleine Mogelpackung. Vor himmelblauem Fond lehnt sich Christoph Kuckelkorn an einen freundlich skizzierten Grabstein, Wölkchen schweben über dem lächelnden Bestatter im Feiertagsstaat. Doch statt kauziger Berufsanekdoten (die natürlich auch vorkommen), erzählt der Mann, der tagtäglich mit dem Tod umgeht, vom Leben. 

Christoph Kuckelkorn ist Kölns wichtigster Bestatter. Das 1864 gegründete Beerdigungsunternehmen seiner Familie leitet der 55-Jährige seit 2002 in fünfter Generation; es sieht aus, als werde sein Sohn Marcel die Bestatterdynastie fortführen. Kuckelkorn beerdigt die normalsterblichen Kölner, aber er ist auch Spezialist für Großereignisse; Trauerzüge wie den für Kölns Ikone Willy Millowitsch vorbei an seinem Theater zum Friedhof Melaten, Trauerfeiern für Politiker wie Guido Westerwelle, wie die Aufbahrung von Kölns Kardinal Joachim Meisner, den er anschließend im Dom beisetzte. Und dann ist da noch der Andere: Christoph Kuckelkorn ist Präsident des Festkomitees des Kölner Karnevals, von 2005 bis 2017 war
Zugleiter des Rosenmontagszuges. Mehr Köln geht nicht.

„Häufig ist von meinem unglaublichen ‚Spagat‘ die Rede, den ich mit meinen beiden Leidenschaften vollbringe“, schreibt er in seinem (mit einer Ko-Autorin entstandenen) Buch. Die Frage, die die meisten Menschen umtreibt, die ihn kennenlernen, spricht er erst auf Seite 233 an. Bis dahin kann man verstanden haben, wie Kuckelkorn tickt, für den „die beiden Tätigkeiten überhaupt kein Widerspruch“ sind, sondern vielmehr „eine Einheit“ bilden. „Der Karneval und die Bestattung haben vieles gemeinsam: Sie sind beide unabwendbar (zumindest in Köln), immer geht es um große Gefühle, es kommen viele Menschen zusammen, Masken werden aufgesetzt und fallen gelassen, es wird gesungen und vieles mehr. In meiner Rolle als Bestatter und als Karnevalist bin ich Organisator eines Festes“, steht da.   

Genau so soll man auch den Titel dieser Autobiografie lesen. Der Tod ist dein letzter großer Termin gibt sich humoristisch und könnte nebenbei auf Kuckelkorns Terminfülle anspielen. Doch er meint es ernst: „Eine Beerdigung ist doch noch mal so was wie ein großes Familienfest, vielleicht größer als eine Hochzeit oder Kommunion. Vor allem, wenn jemand plötzlich stirbt, merken wir die Betroffenheit. Insofern ist das für jeden der letzte große Termin, für manch einen vielleicht sogar der größte“, erklärt er im Gespräch.

Das findet in einem Beratungsraum seines Bestattungsinstituts statt, just an dem Tisch, an dem sich sonst die trauernden Angehörigen einfinden. Warum auch nicht, falsche Pietät oder Berührungsängste sind fehl am Platz, wo es um Leben und Tod geht. Dafür hat Kuckelkorn dieses Buch geschrieben, „eine leichte Lektüre für ein schweres Thema“. Der lichte Einband soll Schwellenängste nehmen, denn Kuckelkorn hat eine Mission: „Die Erfahrungen, die ich jeden Tag mache, sollen den Menschen den Tod nahebringen und darüber das Leben ein bisschen wertvoller machen. Ich sehe, wie Menschen sehr unbewusst mit ihrer Zeit umgehen. Ich mache vieles, aber das bestimmt nicht.“

Im Gegenteil. Christoph Kuckelkorn ist ein Macher. Er brennt für seine Berufung. Er brennt für den Karneval, den er fortlaufend mit erneuert, er sprüht vor Ideen, freut sich, dass der renommierte S. Fischer Verlag ihn lockte (ungewöhnlich genug, dass es keiner von den Kölner Platzhirschen Dumont oder Kiepenheuer&Witsch war). Er spricht mit seinem rheinischen Zungenschlag so konzentriert wie schnell und wirkt dabei vollkommen in sich ruhend und freundlich zugewandt. „Ich lebe sehr intensiv“, sagt Christoph Kuckelkorn, der den Tag als Frühaufsteher vor der Familie beginnt. Der Vormittag gehört dem Unternehmen, der Nachmittag dem Karneval, vom schwarzen Anzug geht es ins Ornat des jecken Präsidenten und angesichts der tödlichen Unplanbarkeit auch mal zurück. Dazu kommt eine eigene Veranstaltungsagentur, die z.B. mitten in der Stadt ein autofreies „Straßenland“ organisiert. Macht bis zu 16 Stunden am Tag, „das geht nur, wenn die Zahnräder gut ineinander fassen.“ Seinen Kalender führen Familie und Mitarbeiter, „ich bin bei meinen Terminen relativ fremdgesteuert“, erklärt Kuckelkorn und gibt zu, dass das Pensum „schon manchmal an die Substanz“ geht. 

Man hat nicht den Eindruck, dass er anders kann oder will, dafür hat Kuckelkorn zu viel erlebt, ist er zu dankbar fürs Leben. Als seine erste Frau 2003 bei einem Motorradunfall tödlich verunglückte, versorgte er sie als Profi ganz selbstverständlich selbst und erlebte gleichzeitig zum ersten Mal die „totale Betroffenheit eines Angehörigen“. Danach habe sich sein Berufsbild noch einmal „komplett gedreht“, berichtet Kuckelkorn, der als ausgebildeter Thanatopraktiker nach dem Tsunami 2004 mit dem Helferteam
„Deathcare“ nach Thailand reiste, um Tote zu identifizieren und zu präparieren. „Selber mit den Händen helfen zu können“ helfe, den Tod zu verarbeiten, „da würde ich andere gerne mitnehmen.“ Vom selbstverständlichen Umgang mit dem Ende ist viel verloren gegangen, kaum jemand wird heute noch zu Hause von der Familie gewaschen, angekleidet, aufgebahrt. Sterben und Tod bleiben ein Tabu. 

Was sich dem Bestatter in der Beratung bietet, ist da „manchmal verstörend“, erklärt Kuckelkorn. „Viele denken, ich hole jetzt nur den Katalog raus“; er fragt erst einmal nach Traditionen in der Familie, gemeinsamen Ritualen. „Die Bedürfnisse liegen ja weniger bei dem, der tot ist. Es ist wichtiger, die Bedürfnisse der Angehörigen zu hinterfragen, und ich finde es schön, wenn wir am Ende etwas ganz Individuelles hinkriegen.“ Man müsse in Hinsicht auf den Tod wieder mündiger werden, denkt Kuckelkorn, der nichts von anonymen Beisetzungen hält („jeder Mensch hat einen Namen“) und auch nichts vom Einäschern. 

Mit Christoph Kuckelkorn über den Tod zu sprechen, heißt auch, über die Seele nachzudenken. „Ich bin der Meinung, dass es viel zu komplex und wertvoll ist, was wir hier leben, als dass es mit einem Schlag vorbei sein kann – das finde ich auch in meiner katholischen Religion so wieder, ohne daran zu glauben, eines Tages körperlich aufzuerstehen oder auf einer Wolke zu sitzen und Harfe zu spielen!“ Ein Kölner im Himmel, das ist dann Karneval. Dass wiederum die Feier des Lebens ihre Seele verliert, wenn man sie nicht vom Ende her denkt, von Aschermittwoch und der folgenden Fastenzeit auf Ostern hin, macht der Fachmann für beide Seiten klar, „Karneval und Kirche ist eins, das eine geht nicht ohne das andere!“ Im Kölschen Fasteleer spielt der Tod seit jeher eine Rolle, und wenn mit der Band Kasalla bei einer Sitzung Tausende Jecke „alle Jläser huh“ auf ihre Verstorbenen heben und singen, hat auch der Präsident des Festkomitees eine Gänsehaut.

„Eigentlich fühle ich mich in der zweiten Reihe viel wohler“, erklärt das Mitglied der Blauen Funken überraschend zu der steilen Karriere, die in Köln erheblichen Einfluss mit sich bringt. Den nutzt  Kuckelkorn inzwischen für den Karneval als moralische Instanz, indem er etwa einem AfD-Parteitag in der Stadt ein buntes Miteinanderfest im Grünen entgegensetzte, und die Gründung des jüdischen Karnevalsvereins „Kölsche Kippa Köpp“ förderte. 

Dass es schmerzt, wenn man im persönlichen Leben manches nicht mehr rückgängig machen kann, benennt Kuckelkorn erstaunlich offen. „Ich habe öfter überlegt, ob ich das so preisgeben kann. Aber vielleicht können Menschen etwas davon mitnehmen.“ Die Zerbrechlichkeit des Lebens wahrnehmen, nichts aufschieben, den schönen kleinen Moment genießen. Aus einem vollen Terminkalender auch mal auszusteigen, „das nehme ich mir manchmal raus“. Ein paar Tage später (morgens hin, mittags her) begleitet er das Kölner Dreigestirn zum Empfang bei der Bundeskanzlerin in Berlin.  //