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Was tun? fragen immer mehr Menschen, die den Glauben an die eine Kirche, den einen christlichen Gott, die eine Gemeinde verloren haben. Bete ganz einfach, rät der Jesuit und Zen-Meister Niklaus Brantschen in seinem neuen Buch. Am besten ohne Gott. Denn das könnte das Gespräch deines Lebens werden.

Was bleibt?
Das Gebet!

von

1/2022

Irgendwann schweigst du. Auch wenn es so viel zu sagen gäbe. Weil alles zu viel war und nun hohl geworden ist. Die tausendste Verordnung, Beteuerung, Entschuldigung. Keine Klarheit, keine Antwort, kein Verstehen. Das Erlernte fühlt sich wirkungslos an, das Geglaubte falsch. Genau das ist der Moment für deine kopernikanische Wende im Leben, findet der Begründer und langjährige Leiter des Lassalle-Hauses Bad Schönbrunn (Schweiz) und empfiehlt uns Christen geradezu Ungeheuerliches: Vergesst alle Geschichten über Gott, die Bilder, die Worte, die ihr in euren wissenden Köpfen tragt. Und entdeckt darin die Wurzel, die euch trägt. Ganz echt.
Spirituell Suchende ahnen: Aus Brantschen spricht der mystisch Liebende. Und der gibt sich nicht mit Badewannenkapitänerei zufrieden, sondern taucht ab im Ozean der Existenz. Das ist nicht jedermanns Sache. Aber irgendwann ist halt auch das heißeste Badewasser kalt. Selbst jenes in den Wochenendseminaren in seinem schönen spirituellen Zentrum in der Schweiz. Selbst machen, lautet sein Ratschlag an alle, die mehr wollen. Und das am besten schön einfach.
Er selbst folgt dabei einer schlichten christlichen Formel aus dem 5. Jahrhundert: lex orandi, lex credendi. Frei übersetzt: Du betest, wie du glaubst. Und du glaubst, wie du betest. Das macht Sinn. Es geht auch gar nicht anders. Beides bedingt einander, ist Ausdruck derselben Haltung, desselben Gefühls. Und Brantschen führt diese Kette sogar noch weiter: Du lebst, wie du glaubst. Du wirst sterben, wie du glaubst. Und du liebst, wie du glaubst.
Aber was bedeutet das für Menschen, die an gar nichts mehr glauben? Können diese Menschen beten, leben, sterben, lieben? Für Brantschen keine Frage: Jeder Mensch tue dies. Aber auf seiner spirituellen Wegsuche sei nicht der unbewusste Automatismus, das Ablaufen des Spieles, entscheidend. Sondern das Bewusstsein dabei: Ich glaube, ich bete, ich lebe, ich sterbe, ich liebe. Je klarer das Bewusstsein, desto größer die eigene Fähigkeit, auf die Art des Glaubens, Betens, Lebens, Sterbens und Liebens Einfluss zu nehmen. Ars/Kunst nennt Brantschen daher das Handwerk des wahrhaft Suchenden. Und wie jeder Künstler weiß, bilden das geschaffene Kunstwerk, die ermöglichende Kunstfertigkeit, der tragende künstlerische Geist und der Kunstschaffende selbst eine sich gegenseitig bedingende Einheit der einzelnen Bestandteile.
Meine Grenzen sind die Grenzen meines Gottes, meines Glaubens, meines Lebens, meines Sterbens, meiner Liebe. Aber rückwirkend heißt das auch: Mein Lieben beeinflusst mein Sterben, mein Leben, mein Beten, meinen Glauben. Und damit das, was für mich Gott ist.
Brantschen glaubt an die Existenz eines christlichen Gottes, der ist, liebt und stirbt. Aber er ahnt, dass Gott größer ist als seine eigene Liebe und seine eigenen Worte und befreit ihn daher. Von sich selbst.
Erst aus großem Glauben und großem Zweifel kann eine große Entschlossenheit werden.
Oder wie Brantschen es nennt. Nichts wollen, und das aus ganzem Herzen. //