Brief an meinen Sohn

von

Vor sehr vielen Jahren, irgendwo in Bethlehem, schickte Gott seinen Sohn auf die Welt, so die Weihnachtsgeschichte. Hat Gott seinen Sohn wohl jemals wissen lassen, wie er über ihn denkt? Vier theo-Autoren schreiben es ihren eigenen Söhnen.

5/2020

Albrecht von Croÿ

Mein Alter!

Nicht erschrecken, es ist nichts Schlimmes passiert. Würde ich Dir denn dann einen Brief schreiben? Nein, es gäbe eine schnelle Whatsapp oder einen Anruf, auch wenn das Eure Generation ja erst recht erschreckt. Aber staunen kannst Du, ist das doch mein erster Brief, den ich an Dich schreibe und dafür musstest Du 27 Jahre alt werden. Kommunikation kann verkommen, sie wird heute schnell zu portionsgerechten Häppchen, so wie wir das über Whatsapp machen beim Fußball, den wir uns häufig gleichzeitig, aber mit 400 km Entfernung voneinander gönnen. Da fliegen die Gemeinheiten und Wortspiele in hohem Tempo hin und her, wir sind darin besser als die meisten Spiele, die ich mit Dir gesehen habe. Und doch: kurz, flink und bald vergessen!

Wie ich über Dich denke, soll ich schreiben, sagt die Redaktion. Ich würde Dir lieber sagen, warum Du das Beste bist, was ich in meinem bisherigen Leben zustande gebracht habe (und sei versichert: was Besseres kommt auch nicht mehr). „Die beste Erziehungsmethode für ein Kind ist, ihm eine gute Mutter zu verschaffen“, sagt Christian Morgenstern. Ich weiß, Du stimmst mir zu: da habe ich ganze Arbeit geleistet. Deine unbestreitbare Intelligenz und Deine Gelassenheit, die Dich so weit gebracht haben, hast Du von ihr. Ich rege mich über zu vieles zu schnell auf, sagst Du. Stimmt, Du trennst besser wichtig von unwichtig. Wahrscheinlich eine Tugend, die mit dazu beigetragen hat, Dich zu einem erfolgreichen Juristen zu machen. In Wahrheit warst Du immer eher ausgeglichen, Deine Mutter bezeichnete das gelegentlich als „Phlegma“ (das nun wieder hast Du von mir, natürlich!). Wie oft habe ich Dich als Glückskind bezeichnet, Dir gelang und gelingt alles, Du hattest und hast immer einen Lebensplan, und der ist bis zum heutigen Tag erfolgreich umgesetzt. Für mich war Erziehung immer eher Begleitung als Bevormundung, auch wenn wir in Art und Umsetzung von „Begleitung“ gelegentlich lautstark unterschiedlicher Meinung waren. Du solltest Deinen Weg gehen und Du bist ihn gegangen, mit Umsicht, mit Freude, mit großem Spaß und mit einer Eigenschaft, die Du nun wirklich von mir hast: Humor!

„Aller Humor fängt damit an, dass man die eigene Person nicht mehr ernst nimmt“ (Hermann Hesse). Eine große Kunst, die Du da beherrschst mit Deinem lakonischen, leicht zynischen Witz, in einer geschliffenen Sprache sich selbst zu verspotten. Mit Dir kann man über Dinge lachen, die andere gar nicht mal verstehen würden. Humor ist eine Gabe Gottes, die vieles leichter macht, die souverän und gelassen macht, die Dich durchs Leben trägt.

Ich bin froh, dass Deine Mutter mit ihrer umfassenden Präsenz und ich mit meiner „Begleitung“ aus Dir einen solchen Kerl gemacht haben. Was auch immer Du nun von wem hast: es ist offenbar eine ziemlich gelungene und lebenstaugliche Mischung! Der Herrgott hat es gut mit Dir gemeint, meine Du es auch gut mit ihm! 

Du verstehst jetzt, warum es ein Brief geworden ist, oder? Alles Weitere gern wieder über Whatsapp oder Telefon! 

Umarmung, Papi     

Albrecht von Croÿ ist Mit-Herausgeber von theo. Der Unternehmensberater für Kommunikation und Journalist lebt in Düsseldorf. Sein Sohn ist 27 Jahre.

 

Stefan Menz

Mein lieber Kilian,

wenn ich Dir heute einen Brief schreibe, dann bist Du schon sechs Jahre alt. Wahnsinn, wie die Zeit vergeht. Sie eilt dahin, darum ist es gut, einmal innezuhalten und nachzudenken. Es gibt nämlich etwas, was ich Dir schon immer einmal sagen wollte: Ich bin so froh und glücklich, dass es Dich gibt. Mit Deinem tiefgründigen Humor und spitzbübischen Lächeln bringst Du Eisberge zum Schmelzen. Vor Menschen, die nicht zu unserer Familie gehören, redest Du nur, wenn Du willst und wenn es sein muss. Wir kennen aber die andere Seite von Dir. Meist bekomme ich alle Geschichten der Woche erzählt, wenn ich Dich manchmal von den Smarties, Deiner Kita-Gruppe, abhole. Da lachen wir dann viel zusammen. Du bist für mich ein großes Wunder. In jeglicher Hinsicht. Und so tapfer in unangenehmen Situationen. Du erträgst alles mit Gleichmut und Geduld, kennst seit Deinen ersten Lebenstagen viele Arztbesuche und Untersuchungen. Dein erstes Lebensjahr hast Du nahezu rund um die Uhr mit einem Helm auf dem Kopf verbracht. Für Deine Mama und für mich waren darum Deine ersten Schritte, Dein erstes Stehen auf eigenen Beinen, Deine ersten Worte ein richtiges Fest. Und heute bist Du bei jeder Untersuchung ruhig, Hauptsache Mama oder Papa sind in der Nähe, dann ist alles gut. Ich kann viel von Dir lernen, von Deiner Ruhe und Gelassenheit, von Deinem Leben in der Gegenwart, im Hier und Jetzt. Man sagt Dir zwar immer nach, Du hättest viel von meinem Wesen. Nur, das kann ich gar nicht glauben. Denn innerlich sieht es bei mir meist anders aus, ganz anders. Dir sagt es bis heute nichts, dass Dein Papa mal als geweihter Priester für die Kirche gearbeitet hat und sein Leben lang Priester bleiben wird. Ich habe das gerne und aus ganzem Herzen getan, in den Pfarreien, in der Schule und im Krankenhaus. Wenn es nach der Kirche ginge, dann hätte es Dich und Deine große Schwester Maria (die ich ebenso über alles liebe) gar nicht geben dürfen. Zum Glück habe ich mich anders entschieden. Und ich glaube, nein, ich weiß: Gott ist glücklich über Euer Leben und Eure Lebendigkeit. Er hat sein JA zu Euch gesprochen, noch bevor Ihr geboren wurdet. Sein ewiges und unverrückbares JA. So langsam muss ich mich nur daran gewöhnen, dass Vatersein auch Loslassen heißt. Gut, schon vor einigen Jahren musstest Du mich und ich Dich ein wenig loslassen, als ich weitergezogen bin. Das war bestimmt nicht leicht für Dich und ich hätte Dir das am liebsten erspart. An meiner Liebe zu Dir hat das aber nichts geändert. Ganz im Gegenteil. Ich vermisse Dich und Deine Schwester unbeschreiblich. Mittlerweile sagst Du mir so oft „Papa, das kann ich alleine“ oder „Lass mich, Papa, ich brauch keine Hilfe“. Ich muss lernen, das zu akzeptieren. Auch, weil ich leider nicht so hautnah miterleben kann, wie Du im Alltag Schritt für Schritt weitergehst in Deinem Leben. Manche Entwicklung bekomme ich nur zeitverzögert oder am Rande mit. Umso mehr freut mich unsere gemeinsame Zeit mit Dir und Deiner Schwester, an den Wochenenden oder in den Ferien, wenn wir gemeinsam etwas unternehmen. Deine große Schwester und Du haben mich ganz neu gelehrt, wie kostbar und wertvoll Zeit ist, unsere gemeinsame Zeit, das Leben, unser Leben. Ein großes Geschenk und eine tiefe Beruhigung zugleich. 

Lieber Kilian, ich bin so stolz auf Dich und ich werde Dich immer in meinem Herzen tragen. Mit all meinen Gebeten und mit meiner Liebe zu Dir. (Und Maria, wenn Du das liest, dasselbe gilt auch für Dich!) 

Dein Papa Stefan

Stefan Menz, Jahrgang 1972, Diplom-Theologe, Studium der Theologie, Philosophie und Spiritualität in Würzburg, Innsbruck und Eichstätt, 2004 Priesterweihe, 2009 Heirat, 2 Kinder, arbeitet heute als Psychoonkologe in einem Krankenhaus. Sein Sohn ist 6 Jahre.

 

Stefan Weigand

Lieber Johannes,

weißt du eigentlich, dass ich oft an einen ganz bestimmten Moment denke? Eine große Krankenhausfassade in der Dunkelheit. Hinter einem der Fenster der oberen Stockwerke scheint warmes Licht. Und ich steh davor und nehme mir einfach eine Minute Zeit: um zu staunen. Da warst du keine drei Stunden auf der Welt, lagst hinter diesem Fenster und hast mit Mama gekuschelt. Die Hebamme meinte, dass ich jetzt ruhig auch schlafen gehen könnte. 

Knapp zehn Jahre ist das her. Aber wenn ich mich an das Fenster erinnere, kommt es mir so vor, als ob es erst gestern war. Ein paar Monate später freuten wir uns über deinen ersten Zahn. Beim deinem ersten Kindergartentag merkte ich, wie groß du schon bist, und versteckte ein paar Tränen. Bei deinem ersten Schultag war es nicht anders. 

„Komm, wer schneller am Haus ist!“ Wettrennen mochten wir beide schon immer. Und klar, als du mich neulich in unserer Straße herausgefordert hast, war ich gleich mit dabei. Zweihundert Meter oder so. Wir waren ganz schön schnell unterwegs. Diesmal war es aber anders als sonst: Mit deinen nunmehr neun Jahren hast du mich zum ersten Mal geschlagen. Na gut, ich hatte einen Rucksack auf, aber du hast mir trotzdem klargemacht: Mensch, du wirst manche Dinge bald besser können als ich. 

Das klingt fast nach einem nebensächlichen Ereignis, aber glaub mir, ich habe länger darüber nachgedacht, auch ein bisschen mit Wehmut. Ich kann doch nicht langsamer sein als mein Sohn! Aber dann habe ich mich damit versöhnt. Vielleicht bedeutet genau das für einen jungen Menschen zu wachsen. Und ich werde mich damit abfinden müssen, dass es solche Stationen noch öfter geben wird. Das hoffe ich! 

Wir wissen beide: Wir können echt eine großartige Zeit miteinander erleben. Zum Beispiel wenn wir in aller Ruhe einen Nistkasten bauen, mit Akkuschrauber und so, und nebenbei Queen oder eine Jazzplatte hören. Ich schmunzle immer, wenn ich merke, dass du mein Plattenregal fast besser kennst als ich. Und dann, na ja, gibt es auch Situationen, in denen wir aneinander die Geduld verlieren. Vielleicht sage ich dir das viel zu selten: Es liegt gar nicht immer an dir. Ich bin oft mit den Gedanken woanders. „Ich komme gleich“, höre ich mich dann sagen – und bleibe doch am Schreibtisch sitzen und lasse dich warten. Wie dämlich. Dann ist es absolut klar, dass wir streiten. Es wird laut. Glaub mir, ich kann das gar nicht leiden. Ehrlich gesagt, geht mir das manchmal ganz schön an die Substanz. 

Aber wie als Rettungsanker habe ich dann die Erinnerung an das Fenster mit dem warmen Licht im Dunkeln. Damals haben wir uns zum ersten Mal getroffen. Ich noch jünger, du ganz klein. Und dann merke ich, wie schön es ist, dass wir gemeinsam wachsen dürfen. 

Halte Ausschau nach solchen Fenster-Momenten. Sie tragen dich. Durchs Leben.     Dein Papa

Stefan Weigand ist studierter Theologe und Philosoph. Er führt ein Büro für Gestaltung und ist Familienvater und Autor. Er lebt in Schwäbisch Hall. Sein Sohn ist 10 Jahre.

 

Markus Weckesser

Mein über alles geliebter Sohn,

es gibt wahrlich genug Journalisten, die mit der Geburt ihres ersten Kindes ein neues Thema für sich entdecken und fortan die Leserwelt mit humorigen Kolumnen und Büchern zu unterhalten suchen. Darum ist mir nie in den Sinn gekommen, über meine Rolle als Vater und mein Verhältnis zu Dir zu schreiben.

Die Anfrage von theo ist jedoch anders gelagert, weil sie mich die Beziehung zwischen Josef von Nazareth und seinem Sohn an den Ausgang meiner Überlegungen stellen lässt. Leider ist über den Zimmermann nur sehr wenig bekannt. Wie war Josef als Vater? Worüber sprach er mit Jesus, was brachte er ihm bei und was war ihm bei der Erziehung wichtig? Haben die beiden auch so ausgelassen gespielt, gelacht und getobt wie wir? Auf einem Gemälde aus dem Jahr 1640 von Guido Reni wird Josef als uralter Mann dargestellt. Mögen die Väter Deiner Freunde aus dem Kindergarten auch im Schnitt zwanzig Jahre jünger sein, im Vergleich habe ich mich doch ganz wacker gehalten, oder?

Vermutlich ging es Josef wie mir. Jedenfalls habe ich nicht mehr mit dem späten Geschenk eines Sohnes gerechnet. Doch plötzlich warst Du da und hast mein, wie mir im Rückblick scheint, eingefahrenes Leben völlig auf den Kopf gestellt. Ein Freund riet mir: Schenke Deinem Baby bis zum dritten Lebensjahr bedingungslose, grenzenlose, nicht nachlassende Liebe. Daran habe ich mich gehalten. Bis heute. Deine Großeltern indes sind überzeugt, dass Deine Eltern Dich zu sehr verhätscheln und Dich öfter in die Schranken verweisen sollten. Ich aber sage: Grenzen aufzeigen ja, doch ohne das autoritäre Programm meiner eigenen Kindheit. Und das ist machbar!

Zugegeben, manchmal bin ich kurz genervt, wenn Du partout nicht hören magst. Und wenn Du Dich in eine gefährliche Situation begeben hast, werde ich zuweilen sogar kurz laut. So etwa für zwei Sekunden. Dann erschrecke ich vor mir selber und fasse mich zum Glück gleich wieder. Mit Dir gehe ich auf wundersame Weise verständnisvoll, nachsichtig und geduldig um. Im Umgang mit anderen Menschen gelingt mir das leider nicht immer. Für mich bedeutet das, dass Du nie aus meiner Liebe fallen wirst.

Apropos fallen: Als ich zum ersten Mal auf einem Skateboard stand, konnte ich mich kaum ein paar Sekunden halten, bevor ich vom Rollbrett stürzte. „Papa aua!“, stelltest Du richtig fest. Ein Einsteigerkurs für uns beide wäre gut, oder? Mama sagt, dass wir beiden völlig anders spielen als sie mit Dir. Eben nicht so wild und ungestüm. Aber schließlich musst Du doch Deine Kräfte messen und sei es nur körperlich. Dabei kannst Du bereits jetzt ziemlich gut argumentieren und fantasievoll erzählen. Ich freue mich schon darauf, in ein paar Jahren (oder ein paar mehr) mit Dir über Gott und die Welt zu diskutieren. Und über unsere gemeinsame Liebe zu Büchern. Das wird sicher spannend.

Einen Strauß origineller Wünsche oder ein paar pathetische Lebensweisheiten mag ich Dir an dieser Stelle nicht mit auf den Weg geben. Nur den einen Rat: Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.    

Markus Weckesser (*1969 in Münster) ist langjähriger Autor und  ehemaliger Redakteur von theo. Er leitet die Journalistische Berufsbildung im Verband Südwestdeutscher Zeitungsverleger und lebt mit seiner Familie in Heidelberg. Sein Sohn ist 4 Jahre.