von Maria Caspari
Leiff Eriksson, den alten Wikinger, nennt sie ihren Helden, lange vor Kolumbus soll er als erster Weißer einen Fuß auf den nordamerikanischen Kontinent gesetzt haben, an der Ostküste muss es gewesen sein. 500 Jahre später landete auch Kathrin Kaiser mit ihrem Kleinflugzeug an dieser Küste. Da hatte sie eine mehrtägige Odys-see inklusive Todesängste hinter sich.
Im Towergebäude des Hangelarer Flugplatzes nahe Bonn spricht sie über ihr Leben und über ihre Leidenschaft. „Hallo Kathrin, lange nicht gesehen“, ständig kommt irgendwer vorbei, ausnahmslos Männer, die anerkennend zu ihr hinübergrüßen. Erst knapp vier Jahre ist es her, dass diese Frau erstmals ihren Flugschein in den Händen hielt, aber längst wissen alle hier, die Piloten und die Lotsen, die Mechaniker und die Kollegen, dass sie dieser Frau nichts mehr vormachen können.
Vor einem Jahr flog sie mit ihrer Grumman Traveller AA5, Baujahr 1972 allein um die halbe Welt. Sie wollte die Erde aus einer anderen Perspektive erleben, Sorgen und Schmerz weit unter sich lassen. Wenige Monate zuvor war ihre Schwester mit 35 Jahren nach langem Kampf gegen den Krebs in ihren Armen gestorben.
Kathrin Kaiser lässt ihren Blick weit über das Rollfeld schweifen.
Im Hauptberuf arbeitet sie als Sekretärin im Bonner Umweltministerium, für diesen Job kam sie vor zwölf Jahren ins Rheinland, ihr Mann blieb in München, an einen Rollstuhl gefesselt. Seither pendelt sie mit ihren beiden Söhnen in ihrem Kleinflugzeug. „Am Anfang fanden die Kinder das aufregend, jetzt ist es bloß noch ein Transportmittel für sie.“
Angefangen hat alles 2019, als eine Freundin ihr zum Geburtstag einen Rundflug schenkte: „Mir war gar nicht präsent, dass es so kleine Flugzeuge überhaupt gibt“, sagt sie freimütig, sie, die nichts Kokettes an sich hat. Damals habe sie sofort „Schmetterlinge im Bauch“ gehabt und gewusst: Das will ich! Kurz darauf startete sie ihre Pilotinnenausbildung, gab dafür den Pferdesport auf.
Schnell fand sie ein Flugzeug. „Ein Ladenhüter mit einem Schaden. Deswegen konnte ich sie im Preis noch runterhandeln.“ „Sie“ ist „Pegasus“, eine rot lackierte, eine blecherne Schönheit.
Bevor es richtig los ging mit der Fliegerei, ließ Kathrin Kaiser die Schönheit von einem Geistlichen des Erzbistums Köln segnen. Anschließend flog sie mit ihm zusammen über Köln.
Heute hat sie bereits 910 Flugstunden auf dem Ticker, in ihrer Maschine Hilfsgüter an die ukrainische Grenze geflogen, behinderte Kinder mit „Charity-Rundflügen“ zum Staunen gebracht – und vor allem 6 ½ Wochen die Welt erkundet.
Einmal jährlich organisiert sie ein „Grumman-Treffen“, zu dem die Kleinflieger aus ganz Europa nach Hangelar kommen, jene Menschen, die mit ihren Maschinen so eng verbunden sind wie es Hemingway mit seiner Schreibmaschine war.
Gerade ist sie mit einer Linienmaschine von einem Treffen in den USA heimgekehrt. „Das fühlt sich für mich schrecklich an, du hast die Kontrolle voll abgegeben.“
Bis zum 14. Lebensjahr ist Kathrin Kaiser in der DDR aufgewachsen, lebte danach zwölf Jahre in München. Kurz bevor sie Pilotin wurde, habe sie ihr erstes, englisches Wort gesprochen und dann in Südengland erst einmal einen Kurs absolviert. In der Schule habe sie damals nur russisch gelernt.
Gleich nach bestandener Prüfung flog sie trotz des Lockdowns los: zum Nordkap und durch ganz Osteuropa, alles in zwei Wochen, im Hinterkopf schon den großen Plan: allein über den „großen Teich“.
Was sie damals nur vom Hören wusste: Der Atlantik ist gnadenlos, er vergibt nichts!
Blitzschnell kann das Wetter umschlagen, Eiswolken können sich bilden und im hohen Norden die Radarverbindung abreißen.
Dass aber Ihre Expedition sich streckenweise zu einem veritablen Himmelfahrtskommando auswachsen würde, das lag damals außerhalb ihrer Vorstellungskraft.
Nach einem gewaltigen, logistischen Großaufwand, nach Monaten der Vorbereitung – Flugrouten erarbeiten, Maschine warten lassen, Survival-Training absolvieren, Pläne schreiben für die Flugsicherung, Söhne bei ihrer Mutter parken – ging es am 23. Juni 2022 los:
Von Hangelar nach Starvanger in Norwegen, hier hing sie wegen des schlechten Wetters erst einmal fest. Als es endlich weiterging auf die Faröer-Inseln der erste Adrenalinschub: beim Anflug auf den windumtosten Flughafen Vagar schüttelten so heftige Turbulenzen ihre Maschine, dass sie durchstarten musste.
Die nächsten Tage trugen Namen wie Island, Grönland, Nordkanada.
„Kurz vor Kulusuk musste ich wegen der gefährlichen Eiswolken tief fliegen, nah am Wasser und habe Wale gesehen. Auf der anderen Inselseite die ersten Eisberge und Robben, es war unglaublich.“
Ihre Züge verklären sich, wenn die Erinnerungen sie einholen.
Sie übernachtete bei ihren „Grumman-Freunden“, einer weltweiten Fangemeinde des Flugzeugtyps, von dem nur 3.000 Exemplare gebaut wurden.
Doch auf der anderen Grönland-Seite kannte sie niemanden, der Flughafen war schon geschlossen. Es gelang ihr, bei einer Inuit-Familie im Kinderzimmer zu übernachten.
Nach Nordkanada ist es nicht mehr weit, und doch wird es der schlimmste Flug werden.
„Ich war eingesperrt zwischen zwei Eiswolken. Die darf ich nicht berühren, weil ich keine Enteisungsvorrichtung habe wie die teuren Maschinen.“
Kathrin Kaiser sieht wieder hinaus aufs Rollfeld. Dann sagt sie:
„Da hatte ich das Gefühl, dass es das jetzt war mit Leben, und ich fragte mich: War es das wert? Ich schickte ein Stoßgebet hoch zu meiner Schwester, betete, dass ich den richtigen Canon erwische, der mich wieder in die Freiheit bringt, rechts und links nur Felswände. Das war die einsamste Stunde überhaupt.“
Das Beten half. Sie erreichte die Ostküste der USA, düste anschließend weiter, bis nach Las Vegas.
6 ½ Wochen später, zurück in Bonn, empfand sie es als völlig unrealistisch, in ihrer kleinen Wohnung und im Büro anzukommen.
Kathrin Kaiser seufzt:
„Ich würde gern mein ganzes Leben unterwegs sein. Es ist die absolute Freiheit.“
Leider hat sie sich ein kostspieliges Hobby ausgesucht: Da ist die vor jedem Flug akribisch durchzuführende Wartung, der Sprit, die Versicherungen, die Start, Lande- und Parkgebühren. Alle zwei Jahre muss sie ein Refreshing durchlaufen, sich von einem Prüfer auf ihre Flugtauglichkeit hin abklopfen lassen.
„Ich zahle heute noch meinen Kredit für die große Reise ab. Doch sie war wichtig, ich habe viel verarbeitet und noch mehr über mich gelernt.“
Den nächsten Trip will sie zusammen mit einem Freund machen, um die Kosten, aber auch die Eindrücke zu teilen. Kathrin Kaiser ist keine Einzelgängerin, sie braucht Menschen um sich herum. Es seien die Menschen gewesen, die sie lieben lernte auf dieser Reise, mehr noch als die Schönheiten der Kontinente, sagte sie.
Und sowieso hält sie sich am liebsten an ihr Credo:
„Je höher man steigt, desto kleiner werden die Probleme“. //