von Brigitte Haertel
Wer hat je von einem „Romantik-Diktat“ gehört? Die Autorin stellt in ihrem Text fest, die Gesellschaft betrachte die romantische Liebesbeziehung als einzig erfolgreiche Lebensform.
Das Gegenteil ist der Fall: Immer weniger Menschen glauben daran. Längst triumphieren auf dem Liebesmarkt auch ökonomische Interessen, ein vergleichbarer sozialer oder intellektueller Status und die Möglichkeit einer unkomplizierten Trennung.
Das alltägliche Liebesleben ist entzaubert, die Erzählung von der romantischen Liebe jedoch lebt fort: In Liedern, in Gedichten, in Filmen, und vor allem in der Werbung. Schon in dieser Erzählung wittert Newerla die Gefahr von Ausgrenzung und Diskriminierung, plädiert für „Alternativen, wie zum Beispiel Beziehungen mit ganz anderen Menschen als dem eigenen Partner – die endlich sichtbarer werden sollen.“ Das klingt nicht nur hochpolitisch, das ist es auch.
Doch haben Politik und Romantik es je zu einer erquicklichen Verbindung geschafft? Das Ideal der romantischen Liebe ist die vielfach besungene, völlige Verschmelzung zweier Menschen. Doch in der Spätmoderne verstehen die meisten Sterblichen sich als autonom, als eigenständige Individien. Dutzende Plattformen im Netz vermitteln unverbindliche Dates, noch nie war es so einfach, sich in Liebesdingen ohne Verpflichtung auszuprobieren.
Das Aussterben traditioneller Rollenzuweisungen, der Mehr-Generationen-Familien und die zunehmende Individualisierung in der offenen Gesellschaft treiben die Entzauberung der Liebe voran. Und doch: Eine sehr frische Forsa-Umfrage besagt, dass 90 Prozent aller Deutschen am Ideal des lebenslangen Liebesglücks festhalten. Daran, so scheint es, will die Autorin Andrea Newerla rütteln. Wozu?
Die romantische Liebe, anders als die gleichnamige Epoche, ist ein unsterbliches Ideal und wird es immer bleiben. Selbstverständlich erweist sie sich nicht selten als Illusion, zumindest aber als Enttäuschung, und ja, der Mythos der romantischen Liebe gehört auf den Prüfstand, aber deswegen nicht abgeschafft. Als könne man die Liebe, diesen Treibstoff des Universums, überhaupt denken: Liebeswahn und Leidenschaft, Liebesglück und Liebesleid folgen der Gesetzmäßigkeit des Herzens, sind mit dem Verstand so wenig beherrschbar wie der Lauf von Sonne und Mond. Es sind die letzten nicht zivilisierten und nicht kultivierten Inseln in einer nach menschlichem Willen durchgestalteten Welt – und deswegen schützenswert.
In der Antike hielt man den romantischen Liebeswahn für eine Krankheit, im Mittelalter galt die Liebe zu Gott als die einzig wahre, und bis in die Neuzeit hinein wurden Ehen arrangiert.
So gesehen darf das Ideal einer romantischen Liebe eher als Errungenschaft betrachtet werden.
Wie die Romantik selbst. Historisch gesehen ist sie ein relativ neues Phänomen: Vor 250 Jahren nahm die namensgebende Bewegung ihren Lauf, aus der eine ganze Epoche erwuchs, die das Mystische, das Geheimnisvolle und die Sehnsucht in den Mittelpunkt rückte:
Novalis und Heinrich von Kleist, Caspar David Friedrich und William Turner, Franz Schubert und Clara Schumann kleideten diese Epoche in Wort, Bild und Ton und drückten so eine schwärmerische Gefühligkeit aus, die immer schon in manchen Menschen schlummerte.
Wo stünde die Welt heute ohne ihre unsterblichen Werke?
Noch immer gelten echte Romantiker eher als Ausnahmeerscheinungen, deswegen einer ganzen Gesellschaft das „Romantik-Diktat“ ausbläuen zu wollen, kann nur als mindestens fragwürdig, wenn nicht als absurd durchgehen.
Grundsätzlich geschieht es eher selten, dass zwei aufeinandertreffende Romantiker ihr lebenslanges Liebesglück finden. Ehe und Romantik sind ein ungleiches Paar, zieht doch der Romantiker die Sehnsucht der Erfüllung vor und ist deswegen häufig nicht so einfach zu genießen. Erfolgversprechender sind jene Verbindungen, in denen ein Partner das Pragmatische verkörpert, damit so etwas wie eine Balance entstehen kann. Die Geschichte hält genügend Beispiele bereit, in der romantisch veranlagte Kulturschaffende pragmatische Partnerinnen oder Partner wählten, die ihnen den Unbill des Lebens vom Leib hielten.
So ist überliefert, dass Katia Mann, die Ehefrau von Thomas Mann, den Alltagskram von ihm fernhielt und das Leben der Großfamilie allein managte.
Und Virginia Woolfs Ehemann Leonard widmete sich aufopfernd seiner schreibenden Frau, einer großen Poetin, die phasenweise an Depressionen und Wahnvorstellungen litt und sich später das Leben nahm.
Selbst in der Geschichte der ersten Menschen gehen Romantik und Pragmatik Hand in Hand: Eva, von der Schlange verführt, isst beherzt vom Baum der Erkenntnis und reicht dann Adam den Apfel, ihm dem Träumer und Zauderer.
Wer das Romantische in sich trägt, hat es sich nicht ausgesucht. Er oder sie muss ein Leben lang damit zurechtkommen. Und der Partner oder die Partnerin ebenfalls. Doch niemals wird sie ganz aussterben: Die Erzählung von der romantischen Liebe.
Und das ist gut so. //