Mit etwa acht Monaten reagieren Babys merkwürdig auf fremde Personen: Lächelten sie diese bisher freundlich an, drehen sie jetzt den Kopf zur Seite, verziehen das Gesicht und suchen Schutz bei der vertrauten Bezugsperson.
Das Kind beginnt zu fremdeln. In einem Alter, wo es krabbelnd die Welt erkundet, begegnet ihm auch das Fremde, und das macht erst einmal Angst. Mit der Differenzierung zu beginnen ist ein kluger Schritt der Evolution. Übrigens hat das Kind in diesem Alter bereits gelernt, Gesichter zu lesen, die meiste Furcht erzeugen bärtige Männer mit ihren schwer zu deutenden mimischen Signalen.
Fremdeln im frühen Kindesalter ist eine notwendige Stufe der Entwicklung. Doch wie geht es weiter? Wir fremdeln ein Leben lang, nur zeigen wir es nicht mehr so deutlich. Sozialisierung und Anpassung haben uns bereits abgeschliffen und uns dazu bewogen, dem Fremden im Sinne einer Erwartungshaltung oder aber trotzig zu begegnen. Gefühle der Fremdheit entstehen bei kulturellen Unterschieden, Glaubensrichtungen und Ideologien. Je weniger wir das andere verstehen, desto fremder wird es uns bleiben.
Interessant ist auch der Begriff „Entfremdung“. Unsere Sprache ist mit hohen Gefühlsinhalten aufgeladen. Menschen, die sich früher gut verstanden oder liebten, werden einander plötzlich fremd. Ihre Gedanken, ihre Tätigkeiten, ihre Vorlieben haben sich im Lauf der Zeit verändert. So kann das Gefühl entstehen, nicht mehr zusammenzupassen, keine liebende Einheit mehr zu sein. Das kann auch für Gesellschaften gelten, wenn eigene Überzeugungen durch aufgezwungene Sprachcodes oder Benimmregeln verändert werden sollen. Jede Übersteigerung kann zur Entfremdung beitragen.
Sich in der „Fremde“ aufzuhalten bedeutet, an einem neuen Ort zu sein, für den noch keine positiven Gefühle entwickelt wurden, man nicht heimisch geworden ist. Was heißt es, sich heimisch, also zuhause zu fühlen?
Ich lebe als Österreicherin seit fast 40 Jahren in Düsseldorf und Umgebung. Ist es mir Heimat geworden? In gewissem Sinne ja. Ich habe hier Freunde gefunden, mein halbes Berufsleben zugebracht, schließlich meinen Mann kennen gelernt und mich häuslich eingerichtet. Habe ich manchmal Heimweh? Seltsamerweise mehr mit zunehmendem Alter. Die Blickrichtung hat sich geändert.
Wenigstens zweimal im Jahr zieht es mich an die Orte der Kindheit und der Ausbildung. Und wenn mich die beste Schulfreundin im Dialekt herzlich begrüßt, antworte ich im Heimatdialekt, ganz automatisch und fühle mich plötzlich gut und angenommen. „Anheimeln“ nennt man das bei uns. //
Dr. Susanne Altweger ist Diplom-Psychologin und Coach.