Landläufig gilt sie als die Kunst des schönen Schreibens, aber Kalligrafie ist mehr. In der Kulturgeschichte wird sie sichtbar, wo das Abschreiben heiliger Texte als sakrale Handlung erfolgt. Im Christentum bei der Kopie der Bibel oder im Islam, wo die Basmala die häufigste kalligrafischer Form ist. Auch in der chinesischen und japanischen Schriftkultur gilt Kalligrafie als besondere Ausdrucksform. Wie in einem Mikrokosmos zeigt sie das Leben mit der Begrenzung in Raum und Zeit. Johann Maierhofer lehrt Kalligrafie seit 25 Jahren.

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1/2024

Sie sind leidenschaftlicher Kalligraf, machen Ausstellungen und geben Seminare. Wie sind Sie zur Kalligrafie gekommen, wie hat sich Ihre Leidenschaft seitdem entwickelt und welche Rolle spielt es mittlerweile in Ihrem Leben? 

Die Kalligrafie war eigentlich immer schon da. Über das Zeichnen, das plastische Gestalten hindurch entwickelte sie sich zu meinem Hauptberuf. Da man die Kalligrafie innerhalb unseres Bildungssystems offiziell noch immer nicht studieren kann, ist Eigeninitiative maßgebend. Über autodidaktische Studien, Bücherstudium und Lernen bei international anerkannten Kalligrafen kann man zur Meisterschaft kommen. Mittlerweile ist die Kalligrafie eine wichtige Verankerung meines Lebens geworden. Es gilt „Calligraphy is one of the ways heaven touches the earth“ – Kalligrafie ist eine Art des Himmels, die Erde zu küssen (andere Arten sind für mich die Musik, der Tanz, die Bewegung in allen Ausdrücken menschlichen Lebens).

Was macht für Sie und aus Ihrer Sicht den besonderen Reiz, die Faszination der Kalligrafie aus? Erklären Sie dies ein wenig.

Kalligrafie ist aber viel mehr als schönes Schreiben. In ihr kann alles Wollen des Menschen zum Ausdruck kommen, sie ist persönlichkeitsbildend. Zum Schreiben alleine braucht man Kalligrafie nicht. Sie nutzt die Schrift, die Buchstabenformen, um sich auszudrücken, in Erscheinung zu treten. Für mich ist Kalligrafie Bewegung des Körpers und des Geistes. Es gilt in der ausgedrückten Bewegung die Fertigkeiten schnell und langsam zu beherrschen. Ein Gefühl zu entwickeln für Nähe und Distanz der einzelnen Formen zueinander. Druck und Loslassen. Damit sind die Grenzen unseres menschlichen Lebens gekennzeichnet: Raum und Zeit. Das bewegt mich in der Tiefe des Erlebens. Die Kalligrafie ermöglicht einem, zur Ruhe zu kommen. Ein Gegenpol zum immer mehr, immer schneller. Die eigene Mitte rückt näher. Das Ausüben erfordert wenig. Es genügt eine Feder, Tinte, ein Blatt Papier. Und Zeit, Absichtslosigkeit und ein sich auf den Weg machen, ganz im Hier und Jetzt sein.

Ergebnisse aus dem Kalligrafieren können Briefe, Kuverts, Schriftblätter, Wörter als geistige Nahrung sein.

Wie kann man sich ein Kalligrafie-Seminar bei Ihnen vorstellen? Was sollte man im Vorfeld beachten, worauf kann man sich freuen?

Seminare biete ich als Wochenend- und als Wochenkurse an. In meinem Schulungskonzept werden Anfänger und Fortgeschrittene gemeinsam in die Welt der Kalligrafie geführt. Über eine Einstimmung in das jeweilige Thema (das können einzelne Alphabete oder andere bewegungsorientierte Gestaltungsformen sein) tauchen wir in die Welt der Kalligrafie ein. Es geht nicht um gut oder schlecht. Kein Leistungsdruck. Einfach zusammen sein, da sein. Leben. Kalligrafieren. Jeder so, wie er kann. Und sich weiterentwickeln. Und Freude empfinden, unter Gleichgesinnten zu sein. Wir erleben jedes Mal bereichernde Tage im Zeichen der Kalligrafie. In den „Arbeitszeiten“ wechseln sich aktivierende Übungen mit kontemplativen Zeiten ab. Jeder ist eingeladen, der sich bereits mit der Kalligrafie beschäftigt hat, oder einfach nur Lust und Laune spürt, sich einmal darauf einzulassen, die Kalligrafie näher kennenzulernen und tiefer einzusteigen in diese den Menschen bildende Tätigkeit.

Was macht aus Ihrer Sicht einen guten bzw. kompletten Kalligrafen aus?

Ein guter Kalligraf ist wie ein guter Musiker: beseelt von dem Medium, mit dem er die Welt erkennt. Er weiß, dass er ein ganzes Leben lernen darf – und sich ihm dabei immer neue Aspekte des Lebens, des Kalligrafierens erschließen; genauso wie in verschiedenen Lebensphasen die Weltsicht eine andere ist. Für einen guten Kalligrafen ist das Wissen um die Tradition dieser Kunst wichtig.  Er versteht die Gemeinsamkeiten unserer europäischen Tradition mit der Arabischen und der Asiatischen Tradition und die Unterschiedlichkeiten. Er weiß um die Bedeutung von Körper und Geist (nicht nur) für die Kalligrafie. Er kann sich in den gängigen europäischen Alphabeten bewegen, versteht die Besonderheiten der Frakturformen und der kyrillischen Formen dabei. Seine Ausdrucksmöglichkeiten, des Körpers und des Geistes schult er täglich. Sein primäres „Werkzeug“ ist sein Körper. Er kennt die Möglichkeiten und Grenzen der jeweiligen Werkzeuge in der Umsetzung seiner körperlichen Impulse auf Papier, Stoff, Wand und allen anderen „Beschreibstoffen“. Und er weiß, dass „Kalligrafie“ nicht die fertige Arbeit ist, sondern die ausführende Bewegung, in welcher er die Arbeit schafft.

Welche besonders schönen Momente bzw. Projekte hat Ihnen die Kalligrafie bislang beschert, woran denken Sie gern zurück?

Die Kalligrafie ermöglichte mir Begegnungen mit den verschiedensten Aspekten menschlichen Lebens. Wenn ich in einer privaten Hauskapelle das „Hohe Lied der Liebe“ kalligrafiere, erfahre ich auch die Geschichte, den Beweggrund des Auftraggebers, der in die Arbeit mit hineinfließt. Wenn ich im Innenhof der Kaiserherberge in Regensburg die Geschichte des Anwesens großflächig auf die Wand kalligrafiere, ist das Ergebnis meiner Arbeit jeden Tag präsent. Wenn ich die Ehrenbürgerurkunde für Papst Benedikt XIV bei der Überreichung im Fernsehen sehe, ist es schon ein besonderes Gefühl, zu wissen, dass sie noch vor einigen Wochen auf meinem Schreibtisch lag. Die Seminare, die den Jahreslauf durchwirken, sind jedes Mal intensive Wochen und Wochenenden für mich. Es ist auch nach 25 Jahren Schulungstätigkeit jedes Mal wie ein Abenteuer, ein Hineinkommen in eine ganz andere Welt, die das bisher geführte Leben immer wieder auf die Waagschale legt und bei einem Heraustreten das Leben neu vorwärts treibt.  //

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