von Regine Müller
In tannengrün sind die Wände des ersten Ausstellungsraums gestrichen, fünf großformatige Ölgemälde leuchten plastisch vor dem dunklen Hintergrund. Es sind Pflanzenstudien in akribisch detaillierter Maltechnik, sie erinnern an historische Stillleben, aber sie zeigen Pflanzen, die bislang kaum je in den Mittelpunkt poetisch überhöhender Betrachtung rückten: Die Pestwurz etwa, roter Mangold oder die Hosta, ein eher unscheinbares Spargelgewächs. Der Titel der Ausstellung Zwischenräume könnte auch als Beschreibung der Lebenssituation von Helena Parada Kim gelten, als einer Künstlerin, die zwischen den Kulturen arbeitet, die verschiedensten Einflüsse und Bildtraditionen verbindet, weiterentwickelt und zu einer eigenen Sprache formt.
Helena Parada Kim malt konsequent gegenständlich, ihre Malweise orientiert sich an den Techniken und Sujets der europäischen Altmeister. Eine ungewöhnliche Position für eine junge Künstlerin. So ungewöhnlich wie ihr Lebensweg. Die Kölner Ausstellung, mit der die neue Direktorin des Museums, Shao-Lan Hertel, sich erstmals als Kuratorin im eigenen Haus vorstellt, kam ganz kurzfristig zustande, erzählt Helena Parada Kim am Tag nach der Vernissage in einem kleinen Kölner Café: „Kennengelernt haben wir uns im Hochsommer, aber sie hatte mich wohl schon auf dem Schirm, als zeitgenössische Künstlerin mit einem asiatischen Migrationshintergrund.“
Schon in der Grundschule fiel Helena Parada Kim als Zeichnerin auf. In Museen und beim Verschlingen der Kunstbände ihrer Eltern ist sie vor allem von der italienischen Renaissance und spanischer Barockmalerei begeistert. Sie kopiert die alten Meister und zeichnet unablässig. „Ich war nie ohne Zeichenblock unterwegs, sogar auf dem Abiball habe ich gezeichnet, ich war besessen. Aufgehört hat das erst an der Akademie, als ich richtig anfing zu malen.“
Der asiatische Teil ihrer Herkunft stammt aus Korea, genauer sogar aus Japan, denn während der japanischen Besatzung lebten viele Koreaner in Japan. Nachdem 1945 die Atombomben fielen, setzte die Familie der Großmutter mit der Fähre ins koreanische Busan über und kam dort in ein Flüchtlingslager. „Sie lebten unter ärmsten Bedingungen. Meine Mutter ist dieser Not begegnet, indem sie einen spirituellen Weg gesucht hat. Gefunden hat sie ihn bei deutschen, katholischen Missionaren. Und so kam sie dann nach Köln.“
Noch in Korea hatte die Mutter eine Ausbildung als Krankenschwester absolviert und fing als Pflegerin in den Riehler Heilstätten an. Dort traf sie ihren späteren Ehemann, der auch auf verschlungenen Pfaden nach Köln gefunden hatte. Denn in seinem ersten Leben war der junge Mann, der aus einer spanischen, großbürgerlichen Familie in Madrid stammte, zehn Jahre lang Mönch in einem katholischen Orden gewesen. Mit 28 Jahren trat er dort aus. „Er hatte dann ein distanziertes Verhältnis zur Kirche, blieb aber sehr gläubig. Er war ein sehr liberaler Mensch. Und dann kam er nach Köln, fühlte sich zum Dienst am Menschen berufen und ging wie meine Mutter in die Pflege.“ Tochter Helena Parada Kim wurde 1982 in Köln geboren.
Die spanisch-koreanische Familie lebte in bescheidenen Verhältnissen. „Aber meine Eltern haben mir und meinem Bruder alles ermöglicht, sie waren sehr musisch interessiert und schickten meinen Bruder in den Domchor und mich in die Domsingschule.“ Der Dom wurde für Helena Parada Kim zur zweiten Heimat, zwanzig Jahre lang blieb sie in dem Chor: „Ich hab’ das geliebt! Die lateinischen Messen waren immer die schönsten für mich, sonntags in den Dom einzuziehen mit einem gregorianischen Choral, diese unglaubliche Architektur, wie soll einen das nicht prägen?“
Die Rituale der Liturgie gingen ihr in Fleisch und Blut über. „Heute wird kaum mehr vermittelt, welche spirituelle Kraft hinter diesen Ritualen und ihrer Ästhetik steckt“, findet sie. Mit ihrer Chor-Erfahrung absolvierte sie aber auch Konzert- und Bühnenauftritte im Kinderchor der Oper. Eine ganz klassische, bildungsbürgerliche, sehr katholische und „kölsche“ Sozialisierung also. Aber wie kam sie dann zur Malerei?
„Die Musik war schon sehr stark, aber es gab auch eine große malerische Begabung in der Familie, mein Vater war sehr begabt als Zeichner.“ Er brachte ihr früh das Zeichnen bei, schon als Kind waren Museumsbesuche Normalität und zuhause im Regal stapelten sich Kunstbände. „Und VHS-Kassetten der Fernseh-Reihe ,1000 Meisterwerke’, die habe ich rauf und runtergeguckt und mir so ganz früh kunsthistorisches Wissen angeeignet.“
Die Kunst und die Schönheit spendeten schon als Kind sogar Trost: Als sie wegen einer Asthmaerkrankung allein zur Kur musste, schickte der Vater zum Trost ein Paket mit Zeichnungen und versprach in seinen Briefen, dass bei ihrer Rückkehr zuhause eine Überraschung auf sie warten werde: Ein großes Pferd, vom Vater gezeichnet an die Wand über Paradas Kinderbett.
Sie war noch begeisterte Chorsängerin, als sie sich an der Düsseldorfer Kunstakademie mit einer Mappe bewarb. Es klappte gleich beim ersten Anlauf und sie wurde in die Klasse der Malerin Rissa, bügerlich Karin Götz, aufgenommen, „eine interessante figurative Malerin“, wie Helena Parada Kim betont. Doch schon wenig später wechselte sie in die Klasse von Peter Doig. Die Zeit an der Düsseldorfer Kunstakademie beschreibt Helena Parada Kim im Rückblick als schwierig: „Meine Arbeiten galten als Altmeisterkram. Anfang der 2000er Jahre war figurative Malerei noch äußerst gewagt. Zumindest in Düsseldorf. Nach Dresden hätte ich gepasst, oder nach Leipzig, aber hier hatte ich einen schweren Stand.“
Im Nachhinein bezeichnet sie die Auseinandersetzungen um ihre künstlerische Position an der Akademie als fruchtbar, sie habe sich erst recht auf ihren Realismus versteift. Zunächst stand Porträtmalerei nach ihren Idolen Rembrandt und Velasquez im Fokus ihrer Arbeit, doch ihr Lehrer Peter Doig regte sie an, über Porträts in anderer Form nachzudenken. „Ich habe dann die Geschichte meiner Mutter näher betrachtet, ihre Herkunft. Und ich merkte, das hat Potential.“ Sie reiste nach Korea, traf die Verwandtschaft, erforschte die Familiengeschichte. Und zweifelte doch immer wieder daran, mit den Bildern von Gewändern über Herkunft zu erzählen: „Ich hatte Hemmungen, weil ich fürchtete, dass diese Motive folkloristisch verstanden werden.“ Das letzte Mal in Korea war sie vor der Pandemie und koreanisch spricht sie „ganz schlecht. Ich habe das Koreanische in meiner Kindheit eher verdrängt, ich wollte ja Deutsche sein.“
Im Museum für Ostasiatische Kunst werden im zweiten, hell gestrichenen Raum Textilien thematisiert, traditionelle koreanische Gewänder, die so genannten Hanboks, die im Alltag und zu zeremoniellen Anlässen getragen werden. Wiederum frappiert Helena Parada Kims hyperrealistische Malweise, ihre sinnliche Qualität, man möchte fast die Leinwände berühren, um die knisternden Stoffe zu spüren. Im Zentrum der Präsentation steht ein eigens für die Ausstellung entstandenes Auftragswerk, das ein kostbares koreanisches Hochzeitsgewand zeigt, das auch ganz real als historisches Exponat aus der Museumssammlung in der Mitte des Raums hängt. Bei der Vernissage drängelt sich das Publikum in den Ausstellungsräumen, die konzentrierte und zugleich opulente Schau macht Furore. Es ist eigentlich viel zu voll für diese stille, betrachtende und doch so vieles erzählende Kunst.
Mit der Ausstellung ist Helena Parada Kim glücklich, obwohl sie auf die Auswahl der Bilder keinen Einfluss hatte. Ihr Bild des historischen Hochzeitsgewands wird im Museum bleiben: „Ich hoffe, dass es nach der Ausstellung nicht im Magazin verschwindet.“ //
Der Text erschien in gekürzter Fassung in der Welt am Sonntag