von Brigitte Haertel
Um zu verstehen, wie es um den Humor in Deutschland bestellt ist, sollte man sich eine Ausgabe der Harald-Schmidt-Show ansehen, sagen wir, eine aus dem Jahr 2012.
Zugegeben, es ist lange her, aber so lange auch wieder nicht, dass es die enorme Fallhöhe erklären könnte, die sich bei einem Vergleich mit den heutigen, dieses Format abbildenden „Late Night Satiren“ von Bespaßern wie Jan Böhmermann auftut.
Keine Frage: Der Zeitgeist weht stramm aus einer anderen Richtung, seit Harald Schmidt seine letzte Late-Night-Show beim Bezahlsender Sky abkalauerte. Dieses Format nach amerikanischem Vorbild, mit dem er fast zwei Jahrzehnte das deutsche Publikum von den Stühlen holte, war zuvor von Sat1 und zwischendurch von der ARD ausgestrahlt worden.
Den Zuschauern war das egal, völlig schnurz, in welchem Kanal Harald Schmidt seine Raketen zündete, ob flankiert von seiner Bauchrednerpuppe Manual Andrack, der Französin Nathalie Licard, des Musikanten Helmut Zerlett – alles nette Beigaben, Marionetten des Meisters. Die Zuschauer, und ja auch die Zuschauerinnen wollten ihn sehen: Harald Schmidt.
Ich gestehe, ich war eine von ihnen. Dabei haben Comedy, Satire, Kabarett oder wie all diese Belustigungsformate heißen mögen, nie zur Erheiterung meines Gemüts beitragen können. Der erste, einzige und vermutlich letzte TV-Witzler, der mich zuverlässig an den Bildschirm lockte, war Harald Schmidt. Mein Seelsorger gewissermaßen.
Was heute in Film, Funk und Fernsehen mit Preisen bedacht wird, ist öde, weil blankgescheuert von jeder nur denkbaren politischen Unkorrektheit. Es ist beinahe vorhersehbar, wer oder was mit einer Auszeichnung belohnt wird.
2002 strich Harald Schmidt für seine gleichnamige Show, nach vielen anderen Preisen, den damals noch sehr renommierten Grimme-Preis ein: weil er intelligent, lustig und politisch völlig unkorrekt war.
Die Laudatorin Bettina Böttinger frohlockte: Es gibt sie noch, die Unterhaltungssendungen mit Anstand und Würde!
Als dieser Satz von ihren Lippen perlte, ließ „Dirty Harry“ längst seine Polenwitze vom Stapel oder haute legendäre Sätze wie diesen raus: „Meine Herren, denken Sie daran, heute ist Weltfrauentag, stellen Sie Ihrer Frau eine Rose ins Putzwasser.“
Das war fies, sicher, aber es war witzig. Weil vorgetragen in bester sarkastischer Nonsens-Tradition vom Chefzyniker der Nation.
Dieser hochgewachsene, schlaksige Typ aus dem Schwäbischen, bekennender Katholik, hatte eine völlig neue Tonart der Ironie begründet, die bis heute einzigartig ist. Er interpretierte die Gesellschaft jenseits politischer Ideologien, mit Stil, Distanz und viel Sprachgefühl.
Als er 1995 zum ersten Mal auf eine Late-Night-Bühne sprang, hatte er schon einiges an Karriere hinter sich: als Solo-Kabarettist, als TV-Satiriker (MAZ ab, Psst, Schmidteinander). Und betrat dennoch völlig neues Terrain.
Und sie droschen auf ihn ein, die Kritiker in ihren Schreibstuben: „Schon wieder eine misslungene Letterman-Kopie“, nörgelte „Das Sonntagsblatt“, während „Die Woche“ gleich die „Ausschaltquote“ anregte. Und ein Boulevard-Blatt tief besorgt nachfragte:
„Wie lange darf Harald Schmidt noch schmuddeln?“
Simsalabim: Der stets in feinstes Zwirn gekleidete Hobbypianist zeigte es ihnen; er zauberte sich eine Fangemeinde herbei, die es in Deutschland sonst selten vor die Glotze schaffte: intellektuelle Hipster vor allem, die in ihrem popliterarischen Weltschmerz so sein wollten wie er, so gut gekleidet, so schnell im Kopf, so cool. Und die sich im Masochismus suhlten, wenn Schmidt ihnen den Spiegel vorhielt.
Kulturredakteure schrieben ihn hoch, sorgten mit dafür, dass der renommierte „Medienpreis für Sprachkultur“ ihn und seine Sendung adelte. „Für seine respektlose Art, sein ständiges Spielen mit Vorurteilen und Klischees, das Beste seit Ringelnatz und Morgenstern“, so die Begründung.
„Meine Karriere wurde größtenteils vom Feuilleton gemacht,“ sagte Harald Schmidt erst kürzlich in einem Interview mit der ZEIT.
Alle holte er damals an seinen „TV-Kamin“, die Promis, die Kulturgrößen, die Bildungsbürger und jene, die sich dafür hielten. Es war die beschauliche Zeit, als noch keine Smartphones über die Menschheit hereingebrochen waren, jene sogenannten Endgeräte, die wenige Jahre später mit News und Fake News im Sekundentakt die Sterblichen zudonnern sollten.
Harald Schmidts Publikum freute sich schon mittags darauf, was ihm abends zum Tagesgeschehen einfallen, und wie er es in einem rasanten Eingangsmonolog satirisch zerlegen würde.
Und es fiel ihm einiges ein: Als bekennender Hypochonder hielt er seine entzündeten Zähne ebenso in die Kamera wie ein eingebildetes Raucherbein, er zitierte freihändig Rilke und Fidel Castro, Bibelverse und Bauamtstatistiken.
Stets schwang bei uns Zuschauern die Frage mit: War das jetzt lustig oder ernst gemeint? So genau konnte man es bei ihm nie wissen. Anspielungen und Abgrenzungen waren immer seine Methode. Gern las er textliche Verirrungen aus deutschen Tageszeitungen vor oder stellte klassische Dramen der Weltliteratur im Sandkasten nach.
Unterstützt durch sein mimisches und gestisches Repertoire – seine Hände flatterten wie in eine leichte Brise, das linke Augenlid zuckte beständig – lief der Schnellsprecher sich warm und nach wenigen Minuten zu höchster Form auf. Mal moderierte er mit einem Helm auf dem Kopf, dann philosophierte er eine ganze Sendung über seinen Haarschnitt und demonstrierte damit eine Fähigkeit, die für einen Entertainer entscheidend ist: Vertrauen in sich selbst und seine Gags.
Schmidts Format hatte debattenprägende Bedeutung, und wie jede gute Late-Night-Show lebte sie vom Ritual, davon, dass sie immer da war, jeden Abend vor dem Zubettgehen.
Ja, Harald-Schmidt-Sprüche waren sexistisch, rassistisch, diskriminierend – aus heutiger Sicht. Doch guter Witz beruht nun mal auf Anarchie, auf Revolution, auf Verweigerung.
Um ganz oben anzukommen hat Harald Schmidt nichts dem Zufall überlassen – noch heute berichten ehemalige Mitarbeiter seiner Kölner Produktionsfirma Bonito TV, deren nomineller Herrscher Schmidt war, von der Kontrollwut und Diwenhaftigkeit ihres Chefs.
Man kann sich gut vorstellen, dass der lustige Herr Schmidt auch ganz anders konnte. Kreativität, besondere künstlerische Leistungen fordern stets ihren Tribut.
Heute steht Deutschland humorbefreiter da denn je. Dabei hätte Humor die Kraft, Gegensätze zu versöhnen, und das könnte diesem zerrissenen Land guttun.
Der Verweis auf all die Krisen, die es dem TV-Humor schwermachen, greift zu kurz.
Krisen hat es immer gegeben: Nach dem 11. September ließ Harald Schmidt seine Show zwei Wochen lang ausfallen, um danach virtuos vorzuführen, dass Terror und Tod mit Humor nicht beizukommen sind, wohl aber den von ihm ausgelösten Fernsehreaktionen.
Wenn er mal wieder so aussah, als sei Harald Schmidt bloß ein Volkshochschullehrer aus Sindelfingen mit zuckenden Mundwinkeln und nicht Deutschlands erfolgreichster Talker, änderte er seine Frisur, seine Brille oder ließ sich gleich einen Bart stehen – wie jeder nervöse Charakter drängte es ihn zur Verwandlung.
Harald Schmidt war eines der größten Phänomene, die die Unterhaltungsbranche hervorgebracht hat. Niemand wird alles gut finden, was er gemacht hat, die letzten Ausgaben seiner Show dümpelten vor sich hin, er schien ausgebrannt und kraftlos.
Dennoch begründete er nicht weniger als eine neue Lachkultur in einem Land, das fürs Lachen nie berühmt war. Und eine neue Leitkultur gleich dazu. Wenn heute von Leitkultur schwadroniert wird, war Harald Schmidt schon vor zwanzig Jahren ihre ultimative Verkörperung: Als Antithese zum Zeitgeist.
Er spielte Bach und Haydn, wiederholte gebetsmühlenartig sein Bekenntnis zur hiesigen Trinkkultur: „Ich sage Ja zu deutschem Wasser“ und immer wieder gern zum Katholizismus. Als junger Kirchenmusiker und Hilfsorganist hatte er sie gelernt: die Demut vor dem Herrn. Daheim mimte er nach eigenem Bekunden den Pfarrer, hängte sich ein Badehandtuch um und predigte los – eine wegweisende Performance.
Ja, Harald Schmidt ist konservativ, das war er immer, damals hat es bloß niemand gemerkt.
Wer kann sich diesen Doyen der Komik heute noch als Gastgeber einer Show vorstellen? Er selbst wohl am wenigsten, und er tut gut daran, sein kategorisches „Nein“ zu verteidigen, wenn zum soundso vielen Mal über seine Rückkehr auf den Bildschirm debattiert wird.
Nach seinem Abgang schrieb Harald Schmidt Bücher und Kolumnen für Zeitungen und Zeitschriften. Wiederholungen alter Folgen von Schmidteinander sendet der WDR heute mit Warnhinweis. Einen solchen Umschwung des Zeitgeistes kann man beklagen oder hinnehmen wie die Jahreszeiten.
Immer wieder ist Harald Schmidt im Traumschiff oder auf der Bühne am Staatstheater Stuttgart zu sehen, in jener Stadt, in der er einst die Schauspielschule besuchte. Und gern berichtet er von seiner Herkunft, führt TV-Journalisten durch seine Heimatstadt Nürtingen, in seinen ehemaligen Kindergarten und die Grundschule. Und wirkt dabei beseelt.
Ja, das ist Harald Schmidt auch: ein Romantiker. Es hat bloß noch niemand gemerkt. //