Wenn meine Tochter früher Liebeskummer hatte, versuchte ich mit der Beschwörungsformel „alles wird gut“ sie zu trösten. Damals war die self-fulfilling-prophecy in Mode, jene sich selbst erfüllende Prophezeiung, die angeblich eintritt durch eine unbewusst ablaufende Verhaltensänderung. Nach dieser Logik hätte meine Tochter den Satz selbst ins Universum abfeuern müssen – von mir ausgesprochen war er wertlos.
In der jetzigen Krise, in der eine gigantische, die ganze Gesellschaft aufrüttelnde Mutmacher-Formel hermüsste, in diesen Zeiten wirkt „alles wird gut“ mehr als abgegriffen: eher wie Hohn. Weil die meisten von uns ahnen, dass nicht alles gut wird. Oder womöglich nicht so wird, wie wir uns „gut“ vorstellen. War es vor der Pandemie gut? War es für alle gut? Versteht unter „gut“ nicht jeder etwas anderes? Gibt es eine allgemein gültige Deutung für „gut“?
Was sagt die Theologie?
„Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut (1. Buch Mose 1,31)“.
Der Autor Edo Renz untersucht in einer Glosse, die die ebenfalls inflationäre Floskel „alles gut“ behandelt, jene, mit der wir uns im Alltag gegenseitig Absolution erteilen, Renz also erkannte in seinem Text:
„Das von Gott für ‚sehr gut’ befundene ‚es’ schliesst ‚alles’ ein, denn Gott hatte sich vorher ‚alles’ noch einmal genau angesehen und kam zu seinem erfreulichen Urteil, wobei das Ganze mehr ist als seine Teile, denn die Teile, das Licht, das Wasser, die Pflanzen, hatte er zuvor nur für ‚gut’ befunden. ‚Und Gott sah, dass es gut war’, heißt es in der Genesis.“
Man darf schlußfolgern, nachdem in der Schöpfung, im Ganzen also, einmal alles sehr gut war, dass es heute nicht mehr so ist. Haben wir Menschen es vermasselt? Warum sonst würden wir uns ständig gegenseitig versichern, dass alles gut wird! Müsste es richtigerweise nicht heißen, dass es wieder gut wird? Und müssten wir nicht alle daran arbeiten?
Stattdessen werfen wir gedankenlos um uns mit einer Floskel, die nichts anderes meint, als dass es bald wieder los geht mit dem Leben, dem Feiern, dem Reisen, dem Business.
„Alles wird gut“, ist dem Sinn nach ein Versprechen, eine Verheißung, aber auch eine Verführung zur Sorglosigkeit.
„Alles wird gut“ – das kann eigentlich nur behaupten, wer an Erlösung und Auferstehung glaubt. Für alle anderen ist der Satz eine Instagram-Sentimentalität, ein Stück Holz zum Anfassen, leider ein ziemlich morsches, weil es von keinem einzigen Argument flankiert wird“, schreibt Tobias Haberl, Redakteur beim Magazin der Süddeutschen Zeitung in seinem Essay „Unser brüchiges Glück“.
Aber die Glücks-Formel „alles wird gut“ hat sich in unserem Sprachgebrauch und unseren Hirnen eingenistet. Weil wir uns einfach nicht vorstellen können, dass wir einen Krieg, eine Naturkatastrophe oder eine andere Heimsuchung nicht in kürzester Zeit bezwingen können. Dass wir uns einfach nicht vorstellen können oder wollen, dass es das gewesen sein könnte mit unserem Wohlstand und unseren grenzenlosen Möglichkeiten.
Auch wenn wir glauben, ein Recht darauf zu haben, dass alles gut wird, zeigt doch die Menschheitsgeschichte etwas anderes. Immer hat es Phasen gegeben, in denen Kulturen blühten, und jene, in denen Krieg, Hunger und Heuschreckenplagen die Menschheit bedrängten.
Echte Zuversicht, echte Hoffnung in Krisenzeiten sind etwas anderes als die Beschwichtigungsbehauptung „alles wird gut“. Zuversicht und Hoffnung haben nichts zu tun mit verordnetem positiven Denken. Wer still und unverrückbar in seinem Herzen die Hoffnung auf das Gute pflegt, an einem wohlmeinenden Wunsch baut, der alle Lebewesen mit einbezieht, dem kommen aus dem Unsichtbaren Kräfte zu Hilfe wie geistige Fruchtbarkeit, neue Wege, neue Menschen.
Noch einmal Edo Renz in seiner Glosse: „Gott, dem allein zusteht, ‚alles gut’ zu finden, wird es geahnt haben: Oder wie soll man es sonst verstehen, dass ausgerechnet nach der Erschaffung des Menschen die Feststellung ‚Und Gott sah, dass es gut war’ ausbleibt?“ //