von Maria Caspari
Er war 41 Jahre alt, als er 2010 zum Diözesanbischof ernannt wurde. In Solsona, einer Kleinstadt in Katalonien, wirkte Xavier Novell Gomà zunächst als scheinbar Liberaler, erst die Zeit förderte einen eher konservativen Denker ans Licht. Er trieb die Neuevangelisierung voran, positionierte sich gegen Abtreibung und Sterbehilfe, sprach von der „Umerziehung“ Homosexueller und brachte damit liberale Katholiken und linke Medien gegen sich auf.
Das beeindruckte ihn wenig. Immerhin gehorchten ihm 50 Priester und etliche Gemeindemitarbeiter und -mitarbeiterinnen aufs Wort. Unter ihnen war Silvia Caballol, eine Psychologin und geschiedene Mutter von drei Kindern. Sie gehorchte ihm offenbar noch etwas mehr. Oder war es eher umgekehrt?
Vor ihrer jäh aufgeflammten Gottesfurcht und Demut der Kirche gegenüber war sie in Spanien als Verfasserin von erotisch-satanischen Romanen wie Die Hölle von Gabriels Lust aus dem Jahr 2017 aufgefallen. In einem weiteren ihrer Titel Trilogie der Amnesie ging es im Klappentext unter anderem um die Frage:
„Was passiert, wenn die Anziehung stärker ist als jeder Ethikkontext?“
Diese Worte waren der Wirklichkeit vorausgeeilt, wie es manchmal im Leben geschieht.
Als Caballol anlässlich eines Gemeindetreffens den Bischof kennenlernte, habe sie anfangs noch mit anderen Frauen über sein gutes Aussehen gescherzt, erzählte sie in einem Interview.
„In dem Moment, als er merkte, dass er Gefühle für mich hatte, hat er sich von mir entfernt.“
Doch diesen Kampf sollte der Gottesmann bald verloren geben. Vielleicht ist es ja gerade die lustfeindliche Kirchenmoral, die die dunklen Mächte der Leidenschaft noch befeuert. Die Weltgeschichte hält auseichend solcher Beispiele bereit.
Als spanische Medien erstmals Wind von dieser „Amour fou“ bekamen, war die Aufregung groß – weltweit. Zeitschriften zitierten genüsslich aus einem Buch von Caballol: „Unsere Körper waren weiß glühend erregt, und unser Geschlecht war entzündet und klopfte.“
Ihr Angebeteter, Bischof Novell, war mit mehreren theologischen Veröffentlichungen zum Exorzismus hervorgetreten, Kirchenvertreter vermuteten, der liebestolle Kollege sei von Dämonen besessen. Offensichtlich verbanden den Bischof und seine Liebste die gleiche Faszination für das Satanische, mutmaßte das Portal „Religiòn Digital“, das gleichzeitig besorgt nachfragte, ob der abtrünnige Kleriker und seine deutlich jüngere Psychologin beabsichtigten, ihre wilde Beziehung in irgendeiner Form zu „regularisieren“.
Novell wurde wenig später mit dem Satz zitiert: „Ich habe mich verliebt und will die Sache richtig machen.“
Im August 2021 reichte der Mann überraschend sein Rücktrittsgesuch in Rom ein. Im November heiratete das Paar standesamtlich, wenige Monate später brachte Silvia Caballol Zwillingsmädchen zur Welt.
Oft dauert es, bis der Vatikan über ein solches Gesuch entscheidet, denn meist geht es um prekäre Fälle: Missbrauch, Korruption, Sexorgien. Beim Bischof von Solsona ging alles sehr schnell.
„Der Papst wollte sofort mit ihm reden, innerhalb von zwei Tagen ist Xavier nach Rom gereist“, erzählt Silvia Caballol im Interview. Und weiter: „Der Heilige Vater hat uns sofort verstanden. Xavier wollte Kinder, und ich war ja schon 38 Jahre alt. Also hat er gesagt, wir sollen den Weg einschlagen.“
In Windeseile wurde Novell von der Kirche suspendiert, die Ausübung der Rechte und Funktionen, die mit dem Bischofsamt einhergehen, waren ihm ab da aufgrund der Eheschließung untersagt. Unverheiratet, mit einem unehelichen Kind, hätte er munter im Amt bleiben können. Geld bekomme er aus Rom angeblich keines mehr, seinen ihm auf Lebenszeit verliehenen Bischofstitel durfte er indes behalten. Solange er den Mund hält und sich ruhig verhält, muss er auch nicht fürchten exkommuniziert zu werden, mutmaßen spanische Medien – die doch so gern viele Interviews mit ihm geführt hätten.
Für ihren Mann sprang Silvia Caballol ein, erklärte sich nach langem Zögern sogar zu einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung bereit – kurz nachdem sie am Ostermontag ihren Xavier kirchlich geheiratet hatte und seither fleißig nicht nur Hochzeitsfotos auf Instagram postet. Da zeigen Bilder den abtrünnigen Hirten und Bräutigam mal glücklich mit seinen Töchtern, mal kartenspielend mit seiner Ehefrau. Der Papst hatte zur kirchlichen Trauung die Erlaubnis erteilt, da die Ehe mit dem ersten Mann Caballols, einem gläubigen Muslim, mit dem sie drei Kinder hat, nur standesamtlich geschlossen worden war.
„Es war ein langer Weg, aber jetzt konnten wir dank der Gnade des Heiligen Vater so heiraten, wie wir es wollten und auch weiter die Heilige Kommunion empfangen,“ postete Silvia Caballol selig auf Instagram.
Das Interview gäbe sie, damit sie endlich alles richtigstellen könne, erklärte sie sich gegenüber den Reportern, die sie im katalanischen Manresa traf, einer Kleinstadt, die in katholischen Kreisen einige Berühmtheit erlangte: hier soll Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens, einst in einer Höhle seine Tage zugebracht haben, und hier hat das Paar mit seiner Kinderschar sich ebenfalls niedergelassen.
Die Romane habe sie in ihrer Jugend geschrieben, erklärt sie im Gespräch. „Erotik, Sekten, Psychopathie, das interessierte mich damals, als ich mit meinem ersten Mann noch in Marokko lebte. Das Schreiben des Romans war ein Hobby. Aber für die Medien war ich halt der Dämon, der einen Bischof befallen hatte.“
Und was macht er heute, der einstige Bischof? Xavier habe bei „null“ beginnen müssen, nach etlichen erfolglosen Bewerbungen sei er heute in der Landwirtschaft tätig, genauer Direktor bei einem „Schweinesperma-Zentrum“. Über den Bischof als „Kunstbesamer“ hätten die Leute sich selbstverständlich auch das Maul zerrissen, berichtet seine Frau. Aber ihr Mann stamme nun einmal von einem Bauernhof und habe eine Ausbildung zum Agrar-Landwirt gemacht, bevor er Theologie studierte. Sie selbst arbeite als Psychologin viel mit Alzheimer- und Parkinsonpatienten, man komme eben so über die Runden.
Und da sei ja noch ihr Lieblingsheiliger: Ignatius von Loyola, der gesagt haben soll: „Das Gewicht der Seele – das ist die Liebe.“ //