von theo
Wie einsam war Gott vor der Schöpfung? Was hat die Sintflut mit dem Klimawandel zu tun? Wer kann wirklich übers Wasser gehen? All diesen Fragen gehen die beiden Frauen in jenen Geschichten nach, mit denen sie als Kinder aufgewachsen sind und die sie heute im Zweiwochenrhythmus in ihrem Podcast erzählen. Dabei räumen sie mit Kitsch und Klischees auf, wollen niemanden bekehren und versuchen sich stattdessen an der Erforschung dessen, was uns die alten Mythen aus dem Buch der Bücher, das seit Jahrtausenden die Weltgeschichte prägt, heute noch zu sagen haben. Seit 2019 wurden über 80 Folgen produziert – und finden sich dauerhaft in den Top 100 der Podcast Charts.
Ein erstaunlicher Erfolg in Zeiten, in denen die biblischen Texte aus dem kulturellen Gedächtnis der Menschen verschwinden, und ein Grund nachzufragen, wer die Schwestern sind, die mit ihren Geschichten zum Nachdenken anregen wollen, nicht selten aber auch amüsieren.
Mit der Bibel sind beide aufgewachsen, und damit mit Sprache. Der Vater, evangelischer Theologe, und die Mutter, soziale Aktivistin, prägten das Leben der Familie in München. Jeden Morgen wurde gebetet, sonntags ging es in die Kirche. Sabine Rückert, das jüngste von vier Kindern, studierte später Kommunikationswissenschaft und im Nebenfach Theologie, besuchte die Axel-Springer-Journalistenschule. Ihre ältere Schwester Johanna studierte Theologie im Hauptfach, dazu Germanistik und Theaterwissenschaften.
Der kleine Unterschied in der Studienfachbelegung offenbart sich in ihren Podcast-Erzählungen: Ist bei Sabine Rückert eine sehr freie Interpretation der biblischen Texte unüberhörbar, stellt Johanna Haberer die Texte eher in einen stark theologisch geprägten Rahmen. Trotzdem haben die Geschichten für beide Frauen eine hohe Bedeutung.
Sabine Rückert
Als Kinder wurden wir mit biblischen Texten bombardiert. Aber welche Weisheit in diesen Erzählungen steckt, das erfahre ich erst heute.
Johanna Haberer
Im Studium habe ich Hebräisch gelernt. Mein großartiger Lehrer hat mir das Alte Testament in seiner wunderbaren Dimension erschlossen. Aber jetzt, da wir im Podcast keine einzige Stelle auslassen, erlebe ich es als noch größer und abgründiger.
In der Bibel finden sich zahlreiche Geschwisterbeziehungen, das Familienbild hat jedoch wenig zu tun mit der Vorstellung einer Familie, in der Geborgenheit und Vertrauen gelebt wird. Im alten Testament streiten Rahel und Lea um die Liebe eines Mannes. Jakob und Esau rivalisieren um den Segen des Vaters. Ist Geschwister-Rivalität ein Grundmuster in Familien, nicht nur in der Bibel?
Sabine Rückert
Wir Rückerts waren selbst ein Haufen Kinder zu Hause. Ich war die jüngste, Liebling der Mutter. Die anderen fanden das nicht so toll, und ich muss mir das bis heute anhören.
Johanna Haberer
Die Familie ist der Ort, an dem man lernt, mit der Ambivalenz von Gefühlen fertigzuwerden: Liebe, Neid, Solidarität, Konkurrenz, alles in einem und manchmal gleichzeitig. Ich bin in der Mitte, die Dritte von vieren. Rede ich heute mit meinen Geschwistern, behauptet jeder, er sei der Liebling von diesem oder jenem gewesen. Natürlich hingen wir immer der Mutter am Rockzipfel und fragten, wen sie am liebsten habe. Ihre Antwort war immer: den, der fragt.
Sie waren das Nesthäkchen, Frau Rückert. Wurden Sie anders behandelt als Ihre Geschwister?
Sabine Rückert
Die Frage müssen Sie meiner Schwester stellen, sie wurde ja durch mich entthront. Aber nach einem halben Jahrhundert dürfte ihr Zorn verraucht sein.
Johanna Haberer
Unsere Mutter war schon 45, als Sabine auf die Welt kam. Sabine wog zehn Pfund, sie hatte einen riesigen Kopf und war immer schlechter Laune. Sie schrie und brauchte ständig Aufmerksamkeit. Die konnten unsere Eltern ihr aber nicht immer geben. Das Delegationsprinzip traf dann mich.
Sabine Rückert
Aus der Rolle, die man als Kind eingenommen hat, kommt man nicht mehr heraus. Das merke ich bei mir selbst und auch bei meinen Geschwistern. Mit der Lebensrolle, die ihnen das Schicksal verliehen hat, wandern sie bis heute durch die Welt.
Heißt das, der große Bruder bleibt immer der große Bruder?
Sabine Rückert
Unser Bruder etwa ist ein typisch Ältester, der schon immer den Familienaufträgen nachgegangen ist. Ich dagegen habe eine typische Jüngstenrolle, die Libero-Position, die ich mir sofort aneigne, wenn ich irgendwo bin.
Was halten sie von Geschwisterforschung. Nur Humburg, oder eher eine Wissenschaft?
Sabine Rückert
Ich bin ja Titelbeauftragte bei der ZEIT. Immer wieder habe ich Titel gemacht zum Thema Geschwister, da bekam ich es auch mit der Geschwisterforschung zu tun. Es ist interessant, welche Familienkonstellationen bei Mozart oder Beethoven eine Rolle spielten. Bestimmte Konstellationen können zwar bestimmte Konsequenzen haben, müssen es aber nicht. Inzwischen ist die Geschwisterforschung selbst ausgeforscht, mich interessiert sie nicht sonderlich.
Johanna Haberer
Interessant ist doch, ob man aus gewissen Rollen wieder herauskommen kann. Das ist eine wichtige Frage für die Forschung mit Blick auf therapeutische Prozesse – etwa die Familienaufstellung. Dort wird einem die eigene Stellung bewusst, man fragt sich, wo steht die Mutter, wo der Vater. Steht die Familie hinter mir oder gegen mich. Ob man aus seiner angestammten Rolle herausfindet, fragt man sich nicht, wenn man in einem so liebevollen Elternhaus aufgewachsen ist wie wir. Hat man in einer Familie die Arschkarte gezogen, sieht es anders aus. //
Copy: reformiert.info Cornelia Krause, Felix Reich