Wirklich
typisch
weiblich
?

Die Zwillinge Christine und Irene Hohenbüchler erschaffen gemeinsam Kunst, engagieren sich auch sozial. Literatur, Philosophie und Kunstgeschichte sind die Referenzen, auf die sie zurückgreifen.

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5/2024

Von Beginn an haben sie, statt einen Wettstreit zu führen, ihre Kreativität gebündelt und gemeinsam ihre Arbeiten entwickelt. In der Neuen Galerie in Graz stellten die Zwillingsschwestern Christine und Irene Hohenbüchler (*3.10. 1964 in Wien) sich 1989 als „Les Bricoleurs“ vor, was auf ihre künstlerische Arbeitsweise hindeutete: ein „breit gestreuter Einsatz kunsthandwerklicher Techniken“, wie Annelie Pohlen das später nannte, ein kenntnis- und ressourcenreiches Handwerkeln. Das Prinzip der Bricolage dient dabei auch als Bild für das verwobene gesellschaftliche Engagement, das mit ihrer Kunst einhergeht.
Zentral in ihrem schwesterlichen Zusammenarbeiten ist schon damals das Konzept der „multiplen Autorschaft“. Das heroische Künstlersubjekt hat ausgedient.
Bis heute arbeiten die Bildhauer-Schwestern im Duo ebenso wie zusammen mit anderen Künstlern und Künstlerinnen, mit Menschen aus sozialen Randgruppen oder auch mit Kindern. Da wird gemalt und gebaut, gestrickt und fotografiert, geknüpft und inszeniert und lustvoll engagiert die Gemeinschaft gefeiert. Bekannt geworden sind die beiden mit ihren Strick- und Webarbeiten, die gerne ganze Räume füllten, wie etwa 1995 im Krefelder Museum Haus Lange. Wenn in den liegengebliebenen Wollknäulen noch die Stricknadeln steckten, war das wohl auch als ein Vorschlag zu verstehen, hier nicht das perfekt vollendete Kunstwerk zu sehen, sondern seine Vorläufigkeit und Offenheit anzuerkennen. Wie eine Aufforderung an uns alle, die Arbeit fortzuführen und das verwickelte System fortzuspinnen.
Doch Web- und Strickarbeiten werden, ähnlich wie soziales Engagement, nach wie vor ein bisschen von oben herab, als typisch weiblich gelesen und abgetan. Erfreulicherweise ändert sich das inzwischen.
Kunstgeschichte, Literatur, Philosophie und Gesellschaftstheorie sind Referenzen, auf die die Schwestern in ihrer Kunst immer wieder zurückgreifen. Systeme in ihrer Mehrdeutigkeit und Vernetzung werden untersucht, unterschiedliche Wahrnehmungsebenen angesprochen. Seit mehr als dreißig Jahren entstehen Werke, die die Utopie des Kollektiven in sich tragen. Raumgreifende Installationen und Objekte, digitale Arbeiten und großformatige Zeichnungen, international ausgestellt nicht nur auf der documenta (X, 1997) und der Biennale von Venedig (48, 1999), sondern auch in Gefängnissen und an anderen kunstfernen Orten.
Ein frühes Projekt realisierten sie 1989 mit der „Lebenshilfe“ in Lienz, Osttirol. Sie arbeiteten mit Patienten einer forensischen Psychiatrie und in einer mittelalterlichen Markthalle im niederländischen Middelburg. Sie errichteten kleine hölzerne, farbig bemalte Häuschen auf dem Münchener Oktoberfest (1999), hier konnte man auf kleinen Texttafeln dessen wechselhafte, teil faschistoide Geschichte nachlesen und akustischen Mitschnitten des heutigen Treibens und Grölens lauschen. Das Konzept „multiple Autorschaft“ trifft sich hier mit einer akademischen Sozialforschung, es wird politisch.
Überhaupt sind architektonische Objekte, Gestelle, Gitter, Regale und Möbel oft Teil ihrer bühnenhaften Präsentationen. Ihre Anfänge im textilen Handwerk, in dem ja ebenfalls Gitter- und Netzstrukturen wesentlichen Zusammenhalt bieten, sind nach wie vor spürbar. Stricken und Weben hat nicht nur mit dem textilen Material zu tun, sondern auch mit räumlichen Strukturen, übereinander gelegt und miteinander verwoben, ist die textile Struktur auch ein Ordnungssystem, ein Text im Raum.
Idealerweise kann ja auch Familie ähnlich funktionieren, fest oder locker miteinander verwoben, verbandelt, verstrickt – gerade indem nicht alle in dieselbe Richtung laufen und ziehen, sich die Wege doch immer wieder kreuzen indem sie einer vereinbarten Ordnung und gemeinsamen Absicht folgen.
Die geteilte Autorschaft als Grundlage ihres Arbeitens zeigt sich anschaulich besonders schön anhand der Zeichnungen mit teils figürlichen, teils floralen und landschaftlichen Kürzeln, anthropomorphen Ornamenten, Geometrien. Ohne exakten Plan fangen sie an und lösen einander immer wieder ab. Es scheint fast, als würden sie an einem gemeinsamen Text weben: „In unserer eigenen Arbeitsweise funktioniert vieles nonverbal. Wir sprechen nicht viel darüber“, so die Künstlerinnen. Man kennt sich halt, ist vertraut und vertraut einander.
Die Zwillingsschwestern Christine und Irene Hohenbüchler (*3.10. 1964 in Wien) studierten Bildhauerei in Wien, anschließend in Maastricht, mit Zwischenstopps in Paris und nochmals in Wien. Heute lehrt Christine in Wien, Irene an der Kunstakademie Münster die Klasse für kooperative Strategien. //

Foto: © Belvedere, Wien, Johannes Stoll