von Ines Young
„Im Rückblick auf mein Leben glaube ich, dass ich ungefähr mit elf Jahren ich selbst wurde. Ich glaube wirklich, dass ich damals wusste, wer ich war. Heute fühle ich noch immer dasselbe Staunen über so viel Dinge, dasselbe Verlangen, Dinge zu erforschen“, sagt die Künstlerin in einem Interview mit dem New Yorker.
Mit provokanten Auftritten wird sie in die Geschichte des Rock’n’Roll eingehen, und noch heute strahlt sie bei ihren gelegentlichen Bühnenauftritten Energie und Jugendlichkeit aus. Wer ist diese Sängerin, Schriftstellerin, Malerin, Fotografin und Mutter?
Patti Smith entstammt einer 6-köpfigen Familie aus der Arbeiterschicht in Chicago. Der Vater hörte zu Hause Jazz – vorzugsweise Duke Ellington oder Miles Davis. Er war Atheist, kannte sich aber gut mit den biblischen Geschichten aus. Ihre Mutter Beverly gehörte den Zeugen Jehovas an – von ihr lernte Patti Smith beten. Die frühe, religiöse Erziehung führte bei ihr nicht zu einer lebenslangen Bindung an rigide Glaubensvorschriften. Gebete aber seien bis heute ein wichtiger Teil ihres Alltags.
„Meine Mutter hat mir beigebracht, dass es Gott gibt. Und dass man ihn zwar nicht sehen, aber dennoch mit ihm kommunizieren kann – durch Gebet und Nachdenken. Über Raum und Zeit hinweg mit Gott Kontakt aufzunehmen wurde sehr früh Teil meines Glaubens. Im Laufe meines Lebens habe ich schon viele Menschen verloren, aber ich lebe mit denen, die ich liebe, ich habe sie um mich herum versammelt“, sagt Patti Smith in einem Interview.
Durch ihren Musiklehrer lernte sie in ihrer Schulzeit die Oper kennen – und lieben. Vor allem Puccini. „Er traf mich unmittelbar in meiner Seele.“
1964 begann sie eine Ausbildung zur Kunstlehrerin. Mit Schwerpunkt Literatur und Kunst des 20. Jahrhunderts. Ihre Leidenschaft galt früh jenen Künstlern, die als Außenseiter gehandelt wurden. Doch für Patti Smith gab es keine Aussicht auf eine feste Anstellung – 1967 machte sie sich auf den Weg nach New York.
Dort fand sie Arbeit in einem Buchladen, parallel entstanden ihre ersten Gedichte. Das St. Marc’s Poetry Project wurde bald zu einem hochangesehenen Forum für Lesungen aufstrebender und etablierter Dichter und Dichterinnen. Ihren ersten Auftritt als Sängerin hatte Patti Smith 1971 in einer New Yorker Kirche. Furchtlos und sebstbewusst trat sie vor ihr Publikum und trug mit Lenny Kaye an der E-Gitarre ihre Texte vor.
Die Begegnung mit dem damals noch unbekannten Fotografen Robert Mapplethorpe bezeichnet sie selbst als eine Art Fügung. Sie verliebten sich, zogen für einige Jahre zusammen.
Mapplethorpe wurde weltbekannt, von ihm ist auch das beinahe ikonisch gewordene Cover ihrer ersten LP Horses, ein schwarz/weiß Bild von ihr im weißen Herrenhemd. Ihr Blick ist direkt in die Kamera gerichtet, stolz, unnahbar, androgyn.
Horses sollte ein Klassiker werden, nein ein Kunstwerk eigenen Ranges: „Jesus died for somebody’s sins, but not mine,“ faucht sie in ihrem unnachahmlichen Sprechgesang.
Später erklärte sie sich: „Es war nicht gegen Jesus gerichtet, sondern gegen die Art, wie die Kirche ihn darstellt. Er war ein großer Lehrer.“
Charakteristisch für die Interessen Patti
Smiths war immer die Gleichwertigkeit der Hoch- und der Populärkultur. Es ist für sie bis heute kein Problem, dramatische Opernarien zu genießen und selber auf der Bühne zehn Minuten lang einen Song mit immer denselben drei Akkorden vorzutragen.
„Als ich anfing aufzutreten, war ich nicht sehr beliebt. Manch einer schrie aus dem Publikum: „Kämm dich mal, und dann zurück an den Herd“. Ich habe es immer hingekriegt, ihnen mit einer witzigen Bemerkung den Mund zu stopfen, meistens waren es ja Typen. Ich dachte mir, die halten sich für cool, aber ich bin cooler.“
In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre wurde Patti Smith erstmalig außerhalb New Yorks wahrgenommen. Innerhalb von vier Jahren erlebte sie mit ihrer Band eine rasante Entwicklung. Die in Zusammenarbeit mit Bruce Springsteen entstandene Komposition Because The Night wurde 1978 zu ihrem größten Hit, ein Liebeslied, inspiriert von ihrem künftigen Ehemann Fred „Sonic“ Smith, einer der Gitarristen der legendären Band MC5 aus Detroit.
Ihr vorerst letztes Konzert zog im September 1979 in Florenz 70.000 Besucher ins Open-Air-Stadion.
Um nicht länger in einer Fernbeziehung zu leben, zog Patti Smith 1980 nach Detroit, wenig später heiratete sie Fred. Bald wurde ihr Sohn Jackson geboren, zwei Jahre später ihre Tochter Jesse. Dem Paar waren 14 glückliche Jahre vergönnt, bevor das Schicksal zuschlug. Fred starb mit 46 Jahren, wenig später ihr Bruder Todd, der Teil ihrer Band gewesen war. Patti Smith zog sich ein paar Jahre völlig zurück – tiefe Trauer braucht Zeit.
Um sich und ihre Kinder zu ernähren, musste sie wieder auf Tournee gehen, doch sie war unsicher: würden die Menschen sich nach 16 Jahren überhaupt noch an sie erinnern?
Bob Dylan machte ihr Mut, ging mit ihr auf eine zweiwöchige Tour an der Ostküste.
Ihr erstes neues Album erschien 1996, es sollten noch acht weitere folgen.
Einige Jahre später begegnete sie Papst Franziskus anlässlich einer Generalaudienz auf dem Petersplatz. Damit löste sie ein Versprechen ein, dass sie anlässlich der Papstwahl gegeben hatte. 2014 trat sie im Vatikan auf, und zwei Jahre später nahm Patti Smith in Stockholm in Vertretung ihres Freundes Bob Dylan den ihm verliehenen Nobelpreis für Literatur entgegen und trug dabei einen Dylan-Song vor.
Zum 50jährigen Jubiläum ihres Debütalbums Horses führt Patti Smith alle Songs dieser Platte auf einer großen Europa-Tournee auf – leider nicht in Deutschland.
Hier wird sie immerhin im Sommer für acht Gigs in Mainz, Stuttgart, Hamburg, Berlin, München, Kulmbach, Dresden und Köln zu sehen sein. Da gibt es sicherlich auch ein paar Songs von Horses zu hören. //