von Sven Schlebes
Gegenwartsgeschichten handeln meistens von Verteidigung und Abbau. Omega-Geschichten. Sie und ihre Zisterziensergemeinschaft sind jedoch dabei, einen neuen Anfang mitzugestalten. Eine Alpha-Geschichte. Wie ist es dazu gekommen?
Alles begann mit einer Anfrage des Bischofs von Görlitz im Jahr 2016 in der Zisterzienserabtei Heiligenkreuz. Es sollte um eine Wiederbesiedelung des ehemaligen Zisterzienserklosters Neuzelle in Brandenburg gehen. Stellen Sie sich vor: Eine große Fläche im Osten des Landes, dünn besiedelt. Nur ca. 30.000 von ihnen sind Teil der katholischen Kirche. Und am nördlichen Rand des Bistums ein vollständig erhaltenes und aufwändig restauriertes Zisterzienserkloster, gestiftet vor über 750 Jahren vom damaligen Landesherren Markgraf Heinrich dem Erlauchten und aufgehoben vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. im Jahr 1817. 200 Jahre später möchte Wolfgang Ipolt als Bischof einen Impuls setzen und das Undenkbare wagen: Den offiziellen Wallfahrtsort stärken, zugleich die pastorale Versorgung der Region sicherstellen und das Zeichen für einen Neuanfang setzen. 2014 wiegelte Abt Maximilian noch ab. Doch zwei Jahre später war es soweit. Nach einem „Probekonvent“ in Neuzelle mit vier Mitbrüdern aus dem Stift Heiligenkreuzstartet das Projekt „Wiederbesiedelung“.
Sie gehörten mit zur sechsköpfigen „Startbesatzung“. Was hat sie angetrieben?
Schauen Sie. Wir leben hier in einer Gegend, die kulturell und wirtschaftlich durchaus gebeutelt ist. Der Altersdurchschnitt der Bevölkerung steigt und es gibt einen Trend zur Abwanderung. Im nahegelegenen Eisenhüttenstadt wurden in den letzten Jahren bereits etliche große Wohnblocks abgerissen, die infolge des Wegzuges leer standen.
Für uns beginnt und endet alles in der sogenannten „ersten Dimension“ – der geistlichen Wirklichkeit. Gott ruft dich, begegnet dir, ruft eine Vision in dir zum Leben, die auf Christus zentriert ist. Eine große Einheit. Das kommt an. Bei mir. Bei meinen Mitbrüdern und – wie es scheint – auch bei den Menschen in der Umgebung. Als wir im Sommer 2017 aus Heiligenkreuz im katholischen Pfarrhaus in Neuzelle ankamen, strahlte die Sonne. Und ca. 150 Menschen begrüßten uns. Mittlerweile besuchen fast 140 Zuhörende unsere geistlichen Angebote, die wir teils auch im Livestream aussenden. Und bis zu 60 Freiwillige haben bei Aufräumarbeiten auf dem neu erworbenen Stasigelände bei Treppeln geholfen, ca. 8 km Luftlinie von Neuzelle, auf dem der Neubau des Klosters Maria Friedenshort geplant ist.
Beeindruckend. Aber warum beleben Sie das alte Klostergebäude nicht wieder neu?
Weder die Gebäude noch die Ländereien stehen aktuell im Besitz von Kirche oder Orden. Die öffentlich-rechtliche Landesstiftung Stift Neuzelle hat die Eigentumsrechte inne und viele der alten Gebäude sind mittlerweile an andere Nutzende weitervermietet. So arbeitet hier die Stiftungsverwaltung selbst, ein Gymnasium ruft Kinder jeden Tag zum Unterricht und betreibt ein Internat und zwei Museen öffnen hier ihre Türen. Zwar starteten wir im katholischen Pfarrhaus und unsere derzeit siebenköpfige Mönchsgemeinschaft findet dort ihren Platz. Doch – und das passt zur Alphageschichte – wir wachsen. Wir haben junge Ordensinteressenten, die bei uns einsteigen wollen, und es warten Rückkehrer, die zur Zeit im Mutterhaus im Stift Heiligenkreuz zur Ausbildung weilen.
Das Projekt soll sogar Angehörige weiterer Ordensgemeinschaften
anziehen.
Das stimmt. Aktuell erfreuen wir uns über die geistliche Verstärkung von zwei Frauengemeinschaften, zum einen leben hier drei „Dienerinnen vom Heiligen Blut“ und zwei „Franziskanerinnen von Thuine“ aus dem Emsland. Echte Glücksfälle. Die Menschen in den umliegenden Orten suchen das Gespräch mit ihnen – auf der Straße und in den Läden. Für uns herrscht hier eine Kultur der Öffentlichkeit und Transparenz. Und das freut uns ungemein. Wallfahrtsgruppen aus Berlin besuchen unsere Einkehrwochenenden in der Fastenzeit, den Sommer über werden wir von Pfarr- und Jugendgruppen aufgesucht. Leben, wohin sie schauen.
Glauben Sie, dass Gott das wusste und im Sinn hatte?
Zunächst sind wir hier, weil wir glauben, dass Gott uns durch den Bischof, unseren Abt und das Kapitel in Heiligenkreuz hierher und genau in diese konkrete Erfahrung geführt hat. Dabei verstehen wir uns zuerst als von Gott geliebte Geschöpfe und versuchen auf Grundlage des Gebetes und des Gemeinschaftslebens, also der Beziehung, unser Handeln zu gestalten. Die Ich-Werdung geschieht also entlang der Beziehung zum Du. Natürlich spielt dabei auch unsere konkrete „Zusammen-Arbeit“ eine wichtige Rolle. Darin sehe ich einen wesentlichen Unterschied zur Arbeit mit modernen technischen Hilfsmitteln wie der Künstlichen Intelligenz, denn wo keine Person, kein reales Du ist, kann ich keine reale Beziehung aufbauen. Zuerst existiere ich also als Person. Dann handle ich. Anhand meiner Erfahrungen entdecke ich immer tiefer, wer ich bin. Diesen Prozess kann mir niemand nehmen. Er beginnt im Geistigen und findet seine konkrete Erfüllung hier auf der Erde – mit mir, mit uns, mit Gott.
Haben Sie diesen „Wachstumsprozess“ bei sich selbst seit dem „Projektstart“ auch bemerken können?
Wahrscheinlich müssten Sie das eher meine Mitbrüder fragen … Aber klar, ich merke schon Veränderungen. So ein Projekt wie das unsrige ist eigentlich menschlich und ökonomisch überfordernd. Wir können nicht schneller gehen, als wir wollen und/oder das Projekt es eigentlich erfordert. Hinzu kommt die eigene innere Unruhe, unsere „geistliche Baustelle“. Aber jeder von uns ist in der Vergangenheit gereift. Gewachsen. Den Prozess der Selbstoffenbarung Gottes in meinem eigenen Leben erfahre ich als extrem bereichernd und anstrengend zugleich. Mit „ihm“ unterwegs zu sein. Das ist nicht einfach und schön. Ich bin ehrlich: Ich habe schon auch manchmal „die Hosen voll“. Aber tief in mir drin weiß ich: Wir bekommen das zusammen hin. Denn ich erfahre an jedem Tag, dass ich nicht alleine bin. Kein Einzelkämpfer in irgendeinem Unternehmen kann das. Ich werde gehalten. Von der Ordensgemeinschaft, der Kirche, unserer Geschichte hier. Und auch den Hoffnungen der Menschen. Jedes Mal, wenn ich merke, es hätte auch anders laufen können oder ich bemerke meine Grenzen, hilft es mir, mich zu erinnern: Gott hätte ja auch jemanden anderes hier platzieren können, um diesen Job zu machen. Er traut mir und uns etwas zu. Und so traue auch ich ihm zu, in meinem Leben etwas zu bewirken.
Das sind große Worte. Wie ist denn der aktuelle Stand der Arbeiten rund um den Neubau?
2023 haben wir in Treppeln parallel zum ehemaligen Stasigelände einen kleinen Vierseitenhof gekauft, der jetzt erstmal zu so einer Art „Vor-Kloster“ ausgebaut werden soll. Bis zu 14 Mönche werden hier im nächsten Jahr in einem nach den Plänen der Architektin Tatiana Bilbao entworfenen Umbau ein neues Zuhause finden. Die Abrissarbeiten der 27 ruinierten Gebäude auf dem 17ha großen Kerngelände sind seit dem Sommer 2023 bereits abgeschlossen. Nun befinden wir uns im Kleinen im Umbauprozess. Und im Großen in der Bauleitungsplanung.
Aber das geistliche Leben blüht bereits.
Richtig. Besonders beliebt ist bei uns die Emmausvigil, ein Treffen von erwachsenen Gläubigen mit Lobpreis, einer Predigt oder einem geistigen Impuls und einem anschließenden Zusammensein. Sie findet alle zwei Monate jeweils am Sonntagabend statt. Aber auch die Jugendvigil, unser lebendiger Gebetsabend, gestaltet von uns Mönchen und den Jugendlichen, erfreut sich einer wachsenden Freundesschar. Bis zu 120 Jugendliche nehmen teil. Und: Ja! Sie lieben selbst den lateinischen Choral, den wir Mönche am Anfang immer singen.
Das klingt „fantastisch“.
Wir sind dankbar hier zu sein, es ist eine tolle und unterschätzte Gegend. Kommen Sie einfach mal vorbei. Noch haben wir zwar selber keine Übernachtungsmöglichkeiten für Gäste. Aber es gibt in Neuzelle zwei Hotels und eine Herberge in fußläufiger Entfernung zur Kirche. //
Mehr Informationen gibt es auf www.mariafriedenshort.de, auf Instagram unter @moenche_in_neuzelle und auf dem youtube-Kanal youtube.com/@KlosterNeuzelle