Christen glauben, nach dem Tod bestenfalls im „Himmel“ zu landen, in der schönen, leuchtenden Ewigkeit. Doch in der Theologie bröckelt der Jenseitsglaube. 10 Fragen an den Religionswissenschaftler und altestamentarischen, katholischen Theologen Bernhard Lang.

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4/2022

Lieber Herr Professor, das Christentum ist eine Heilslehre, verspricht den Gläubigen nach dem Tod das Paradies, das Jenseits. Müssen wir uns unter dem Jenseits eine heile Welt vorstellen?

Müssen? Wir dürfen es. Eine heile Welt ist schon etwas – aber immer noch dürftig gegenüber der christlichen Botschaft.

Da wir nicht wissen können, wie diese Welt aussieht, bleibt uns nur die Fantasie: Wie stellen Sie als Theologe sich das Jenseits vor?

Da will ich gar nicht als Theologe reden – es reicht, als Gläubiger etwas zu sagen. Meine Lieblingsvorstellung: gleichzeitig Vertrautes zu erleben und Neues zu finden. Meine Phantasie trägt mich in eine riesige und zugleich überschaubare, wohlgebaute Stadt. Dort bewege ich mich mühelos. Ich kann mich schwebend bewegen. Fliegen – wie im Traum erlebt. Ich finde viele Bücher, viele faszinierende Menschen.

Der Jenseitsglaube ist ja keine Erfindung des Christentums, sondern er speist sich aus wesentlich älteren Quellen. Zum Beispiel aus der griechischen Mythologie. Aus welchen noch?

Die alten Ägypter haben die Idee eines Gerichts über die Seele des Verstorbenen in die Religionsgeschichte gebracht und damit der Verantwortung des Einzelnen große Anschaulichkeit beschert. Im Christentum lebt diese Vorstellung fort. Doch es gibt eine wichtige Korrektur: Es gibt auch Barmherzigkeit und Vergebung von Sünden – die große Entlastung.

In einem Radiointerview lassen Sie die Hörer wissen, dass immer weniger Theologen dem Jenseitsglauben folgen. Glauben diese Theologen tatsächlich, dass mit dem Tod alles vorbei ist. Ein für allemal?

Ja, da gibt es viele radikale Denker. Sie sind von der Endlichkeit des Menschen überzeugt. Das Leben findet zwischen Geburt und Tod statt. Alles, was darüber hinausgeht, sei menschliche Anmaßung.

Das wäre eine erschütternde Erkenntnis. Das Paradies ist verloren, und der Glaube an das Ewige Leben ebenfalls. Damit wird der christliche Glaube hinfällig. Was ist mit der Auferstehung Jesu, mit Gott als Richter, mit dem Purgatorium?

Tatsächlich: alles wäre überflüssig. Aber: Jesu Auferstehung – ein großes Gericht, das von jedem Rechenschaft fordert – eine Reinigung der Seele: auf diese großen Lehren lässt sich nicht verzichten, auch wenn es heute schwerfallen mag, ihren Sinn zu verstehen. Das Erkennen von Sinn lässt sich nicht erzwingen, da müssen wir auf einen historischen Augenblick der Erkenntnis warten. Erkenntnis wird nicht gemacht, sondern geschenkt.

Dann gibt es auch nicht so etwas wie Erlösung?

Tatsächlich: Verzichtet man auf alles, was die unmittelbare Erfahrung überschreitet, dann muss man auch auf Befreiung von Leid und Schmerz, auf Erlösung und Heil verzichten.

Wofür dann überhaupt die ganze Theologie? Mit dem bisschen Leben auf Erden kommen die meisten Menschen auch ohne Theologie zurecht …

Ja, das Leben funktioniert auch ohne Theologie. 

Die drei großen Weltreligionen, Judentum, Christentum und Islam teilen sich die Idee vom Jenseits. Das heißt, sie alle irren?

Lassen wir sie ruhig alle im Irrtum befangen sein – dann wäre ihr Irrtum aber noch eine großartige, den Menschen tragende, sinnstiftende Dichtung.

Mein Mann ist letztes Jahr gestorben, ich trauere sehr um ihn. Meine einzige Hoffnung, dass ich ihn eines Tages wiedersehe, ist also dahin?

Manche wollen einem diese Hoffnung ausreden. Doch die Sehnsucht nach Wiederbegegnung ist weltweit verbreitet. Auch die großen atheistischen Geister und Jenseitskritiker können ihr nicht entkommen. Daher gibt es keinen Grund, die Hoffnung auf Wiedersehen aufzugeben und zu diffamieren.

Dann müssen wir also ab sofort den Himmel auf Erden finden?

Der Versuch endet immer in totalitären Systemen von Staat und Kirche. Natürlich gilt es, die Erde zur Heimat zu machen. Aber das ist nur zu leisten, wenn wir auch mit religiöser Phantasie arbeiten. Sie weckt ungeheure Kräfte. Theologie verdorrt zu einer sterilen, unfruchtbaren Wissenschaft, wenn sie auf Phantasie und Dichtung verzichtet.

Prof. Dr. Dr. Bernhard Lang wirkte bis zu seiner Emeritierung an der Universität Paderborn.

Was glauben Sie, liebe Leserinnen und Leser? Glauben Sie an ein Jenseits?

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