Womöglich ein falsches Versprechen!

Gibt es die heile Welt gar nicht? Weder im Jenseits noch sonst irgendwo?

von

4/2022

Wer im Christentum nach dem Heil sucht, findet es im verlorenen Paradies oder im zukünftigen Jenseits, niemals jedoch in der Gegenwart. Das war dem 2008 schwer erkrankten Künstler Christoph Schlingensief bewußt, als er sein Krebstagebuch So schön wie hier, kanns im Himmel gar nicht sein übertitelte. Er wollte das Leben feiern, das „Jetzt“, wie es östliche Religionen raten.
Nun, es gibt wohl keine heile Welt, aber es gibt die Sehnsucht danach. Womöglich haben die großen Weltreligionen die heile Welt ins Jenseits verbannt, damit wir Menschen Kummer und Leid besser ertragen.
Andererseits: die Hoffnung auf ein Weiterleben nach dem Tod ist so alt wie unsere Geschichte, eine Geschichte, verankert in Schriften und Kunstwerken, in Tempeln und Riten. Zeugnis vom Todesüberwindungsglauben geben die Pyramiden von Gizeh genauso wie die Minarette der Al-Haram-Moschee in Mekka und der Petersdom in Rom.
Die im Tod vollzogene Trennung der unsterblichen Seele vom Körper wurde durch das Christentum und den Islam in die Köpfe der Menschen gebracht, nur die Juden haben sich daran nicht beteiligt. „Hinterm Horizont geht’s weiter“, sagen auch sie, doch die tiefe Verbundenheit der gesamten Schöpfung verträgt die Abwertung des Körperlichen in ihren Augen nicht. Sie flüchten sich lieber in ihre berühmte Witzkultur.
Die menschliche Fantasie hat Jenseitsvorstellungen geprägt wie die Bundesbank Münzen. So landet Winnetou nach seinem Ableben in den Ewigen Jagdgründen, die alten Germanen im Walhall, dem Götterpalast, zu dem nur Kämpfer Zutritt bekamen, die sich als tapfer erwiesen hatten. Selbst der Hinduismus, der als endgültiges Ziel die Erlösung vom ewigen Geburt- und Tod- Kreislauf vorsieht, beschwört ein Paradies, in das allerdings nur „Opfernde“ höherer Kasten Zutritt erlangen. Und das auch nur vorübergehend.
Unterwegs mit der Reinkarnationsvorstellung ist auch der Buddhismus, hat das Freudlose zum Prinzip erhoben. Alles Leben ist Leiden. Und von wegen Jenseits oder blumige Auen. Den Geist der Verstorbenen sieht er, je nach Karma, irrlichternd und verängstigt umherziehen, ehe er sich erneut inkarniert.
Ein schönes Durcheinander möchte man meinen. Ein Drittel von uns Deutschen schließt ein Leben nach dem Tod völlig aus, glaubt weder an Himmel noch an Hölle. Und auch den Unentschiedenen fällt es heute schwer, sich eine vorgeburtliche und eine jenseitige Existenz vorzustellen. Vielleicht sollten wir einfach nicht allzu viel darüber nachdenken! Der Anfang des 18. Jahrhunderts in Frankreich berühmte Prediger Jean-Baptise Massillon erklärte: Man fürchtet den Tod weniger, wenn man bezüglich seiner Folgen ruhig ist.
Und was ist eigentlich so schrecklich an der Idee, dass, wenn wir tot sind, wir tot bleiben. Ich stelle mir das weniger schlimm vor als ein unbekanntes Jenseits, das womöglich noch böse Überraschungen bereit hält. Können wir’s wissen?
Meine Lieblingsidee vom Tod geht so: ich schlafe ein und werde nicht wieder wach. Ganz einfach. Bette ich mich allabendlich zur Ruhe, weiß ich ja auch nicht, ob ich am nächsten Morgen wieder Kaffee trinke.
Vor dem für uns unbegreiflichen Übergang auf die andere Seite liegt die schönste Geschichte der Welt: Das Leben. //