Lange im Dunkeln

Wenn eine gebärende Frau ihr Baby zum ersten Mal sieht, nachdem sie es monatelang in sich gespürt hat, sollte es ihr vertraut und nicht fremd sein. Wie sie das hinbekommt, weiß die vierfache Mutter und Katholikin Daniela Djalali aus Düsseldorf. Jahrelang hat sie zusammen mit ihrem Mann, einem Gynäkologen, Geburtshilfe und Schwangerschaftsbegleitung mit Hilfe der Haptonomie erprobt. Jetzt will sie diese ganzheitliche Methode weitergeben.

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3/2022

In kaum einem anderen heilkundlichen Bereich stehen sich Schul- und Alternativmedizin unversöhnlicher gegenüber als in der Geburtshilfe. Dabei sind Hebammen, deren Berufsstand in den letzten Jahren an Ansehen gewonnen hat, Multiplikatoren alternativer Heilmethoden, für die es keine Wirksamkeitsbelege gibt. Da werden Kräutertees und -Öle empfohlen, Bachblüten-Notfalltropfen oder Räucherkugeln. Weltweit gilt inzwischen eine Schwangerschaft als Einstieg in die Welt der alternativen Heilpraktiken bei gleichzeitiger Verunglimpfung der Schulmedizin. Hebammen sehen sich in der Tradition weiser Kräuterfrauen und fechten einen Verteilungskampf mit der Ärzteschaft aus. Besonders der Einsatz von Homöopathie und Akupunktur steht hoch im Kurs, was Schulmediziner ratlos macht.
Doch es muss einen Grund geben, wenn so viele Frauen nach alternativen Therapien suchen: Tatsächlich rückt die Schulmedizin die natürlichste Sache der Welt, Schwangerschaft und Geburtshilfe, zu sehr in den Bereich einer zu therapierenden Krankheit, davon gehen heute nicht nur viele Frauen aus.
Letztes Jahr verstarb in Düsseldorf ein Gynäkologe, der Alternativ- und Schulmedizin zusammendachte. Dr. Mehdi Djalali (1942-2021) verhalf Hunderten Frauen mit Hilfe der Haptonomie und vor allem mit Hilfe seiner Ehefrau zu einer sanften Geburt. Heute will seine Witwe weiter darüber aufklären.
Daniela Djalali ist eine sanfte Frau mit wachem Verstand, und auch sie glaubt, dass die Schulmedizin bei Schwangerschaft und Geburtshilfe häufig des Guten zu viel tue. „Die Ruhe, die das Kind eigentlich nur mit der Mutter spüren kann, diese Verbindung wird durch zu viel Eingriffe gestört: Früher durfte das Kind einfach im Mutterleib wachsen, heute wird überall Einfluss genommen. Da wird gewogen und durchleuchtet, pränatal diagnostiziert und abgemessen. Da kommen Saugglocken und chirugische Geräte zum Einsatz. So können Unsicherheiten für das ungeborene Kind entstehen.“
Eine schwangere Frau hat nichts weiter zu tun, als guter Hoffnung zu sein, so hieß es früher einmal. Doch die gute Hoffnung weicht nicht selten dem Zweifel, dass doch etwas schief gehen könnte, deswegen überlassen noch immer viele Frauen sich und ihre Schwangerschaft allein der Einschätzung der Schulmedizin. Womit ihnen der eigene Zugang zu dem Ungeborenen womöglich fehlt.
„Die Mutter hat neun Monate Zeit, sich und ihren Körper zu spüren, sich dem Kind gegenüber zu öffnen und es zu integrieren. Mutter und Kind sind ja in dieser Zeit eins“, sagt Daniela Djalali. „Und niemand weiß besser als die Mutter, wie es um sie und das Baby steht.“
Dass die Frau unter Schmerzen gebären wird, dieser biblischen Weissagung wollen sich viele werdende Mütter längst nicht mehr beugen. Die Peridualanästhesie (PDA) sorgt bei jeder dritten Geburt dafür, dass der Wehenschmerz nicht mehr ins zentrale Nervensystem durchdringen kann, und die Frau in narkotisiertem Zustand ihr Baby zur Welt bringt. Ähnlich wie bei der immer beliebter werdenden Kaiserschnittgeburt.
„Mein Mann hat das immer abgelehnt. Er interessierte sich schon als junger Mediziner für die sanfte, natürliche Geburt. Die Frauen sollten den Mut und das Vertrauen aufbringen, sich auf die Fähigkeiten ihres Kindes zu verlassen und nicht auf die moderne Technik“, sagt Daniela Djalali.
Früh stieß ihr Mann auf den niederländischen Physiotherapeuten Franz Veldman, den Begründer der Haptonomie. In dem Wort steckt „Haptik“, also Berührung. Haptonomie versteht sich als ganzheitliches „Umfassen“ des Menschen, von der Empfängnis bis zum Tod. „Die Öffnung zum Leben“ steht im Zentrum, und damit die Idee eines möglichst frühen Kontakts zum ungeborenen Kind, ein frühzeitiges Sich-Verbinden von Mutter und Fötus, dass auch seine Autonomie anerkennt. Ein ungeborenes Kind weiß, was es will, das belegen aktuelle Forschungen. So kann bei einer Frühgeburt, die häufig bei angstbesetzten Schwangeren eintritt, davon ausgegangen werden, das das Kind sich unwohl fühlt im Mutterbauch. Es initiiert die Wehen, will raus.
Mehdi Djalali, fasziniert von der Wirksamkeit der Haptonomie, absolvierte eine Zusatzausbildung bei Veldman und beschritt in seiner Praxis bald neue Wege. Das System Krankenhaus und die dort herrschenden Hierarchien und Machtgefüge hatte er als Belegarzt hinreichend kennengelernt.
Über behutsame Berührungen, das Hineinspüren in den Mutterleib, trat er mit dem Kind in Kontakt und führte die Schwangere an diese Methode heran, ermunterte sie, nicht nur mit dem Ungeborenen zu sprechen, sondern eins mit ihm zu werden, mit ihm in einen psychoaktiven, allumfassenden Kontakt zu kommen. So lernte die Mutter das in ihr heranwachsende Wesen kennen, auch, wenn sie es noch nicht gesehen hatte, sie konnte es einladen, die richtige Position einzunehmen, und so einer sanften und befreienden Niederkunft den Weg ebnen.
„Das Wichtigste ist eine glückliche Schwangerschaft“, sagt Daniela Djalali, und weiter:
„Je öfter die Verbindung mit dem Kind stattfindet, um so mehr entsteht eine Basis-Sicherheit, die sehr wichtig ist für das spätere Leben des Kindes. Liebe und Zeit brauchen Schwangere und ihre Ungeborenen gleichermaßen.“
Einigen Errungenschaften der modernen Technik, wie der Leihmutterschaft, steht sie skeptisch gegenüber, nennt sie völlig zweckentfremdet. „Es hat große Auswirkungen auf das Kind. Die Mutter blockt, es ist ja nicht ihres. Die ganze Schwangerschaft ist eine Maschinerie, die die Kinder schon im Mutterleib der Verwahrlosung überlässt.“
Oder wie schlimm sei ein durch Pränataldiagnostik als krank definiertes Kind, das noch mehr Liebe brauche als ein gesundes Kind, aber gar nicht gewollt würde. Die Schäden für die Gesellschaft seien immens. All die Psycho-Burn-out-Behandlungen ADS, etc. nähmen in der Schwangerschaft ihren Anfang.
„Mein Mann war Gynäkologe mit Leib und Seele, er hat immer die Perspektive des Kindes eingenommen. Nie haben wir der Mutter das Geschlecht des Kindes verraten, wir haben sie dazu animiert, sich überraschen zu lassen.“
Daniela Djalali hat ein großes Erbe angetreten, ihr Glaube gäbe ihr die Kraft, sagt sie. Die Forschungen und Behandlungsmethoden ihres Mannes und ihre Unterstützung haben vielen Eltern und Kindern zu einer unvergesslichen und prägenden Erfahrung verholfen. Heute hält sie Vorträge, forscht weiter über Haptonomie.
Aber sie weiß auch: Fortschritt und Technik lassen sich nicht aufhalten. Die Entscheidung, sich für eine natürliche Schwangerschaft und Geburt zu entscheiden, ist eine freiwillige und vor allem allein Sache der Eltern.
„Mein Mann hat immer gesagt: Das Schwierigste ist, mit all dem Wissen, das man erworben hat, die Dinge geschehen zu lassen und nicht einzugreifen. Das ist viel schwieriger als Aktionismus.“ //

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Foto: Alexander Krivitsiy/unsplash