War
das ein
Wunder

Es ist bald 165 Jahre her, dass der damals vierzehnjährigen Bernadette Soubirous in einer Grotte bei Lourdes eine »weiße Dame«, erschien, die sich ihr später als »Unbefleckte Empfängnis« zu erkennen gab. Aus dieser Begegnung erwuchs einer der berühmtesten Wallfahrtsorte der Christenheit, in dem Millionen Menschen Heilung suchen oder einfach bloß Kraft.

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3/2022

Ein nasskalter Februartag des Jahres 1858 in den französischen Pyrenäen: drei Mädchen stapfen durch die weglose Heide, sie suchen Brennholz für daheim.
Die vierzehnjährige Bernadette, ihre Schwester Toinette und eine Nachbarstochter kommen an jene Stelle, an dem der Mühlbach mit dem Fluss Gave zusammenfließt.
Während die beiden anderen Mädchen das Wasser durchwaten, hockt Bernadette sich nieder auf einen Stein, um ihre Strümpfe auszuziehen, als sie eine Veränderung bemerkt: Drüben, an der Grotte von Massabielle, einem unwirtlichen Ort, der gelegentlich von Abfällen heimgesucht wird, krümmt sich ein einsamer Heckenrosenzweig in vollkommener Windstille. Auch der Gave hat die Tonart gewechselt, statt zu plätschern tobt und poltert er dahin.
In der Nische des Grottenfelsens sieht Bernadette einen tiefen Glanz, und in diesem Glanz steht jemand, der vorher noch nicht da war. Es ist eine junge Dame, fein und zierlich steht sie sehr gelassen in dem engen Oval der Nische. Sie trägt ein weißes Kleid bis zu den Knöcheln und darüber einen Schleiermantel mit einem blauen Gürtel. Die Dame geht barfüßig, und auf jedem der blassen Füße steht über den Wurzeln der langen Zehen eine Rose.
So detailliert wird Bernadette später die Erscheinung beschreiben, und auch, dass sie in die Knie sinkt und wie fremdgesteuert den Rosenkranz betet. Die beiden Mädchen werden berichten, Bernadette in völliger Verzückung vorgefunden zu haben.
Wenige Tage später zieht es Bernadette wieder zur Grotte, die weiße Dame ist schon da! Und sie spricht zu dem Mädchen: In dem Dialekt der Gegend, dem „Patois“ gibt sie sich als „Unbefleckte Empfängnis“ zu erkennen. Und wieder fällt das Mädchen Bernadette in eine tiefe Trance.
Das Unerhörte spricht sich im Ort schnell herum, wenige Tage später pilgern täglich mehrere hundert Menschen mit zur Grotte, meist Frauen.
Bald schon wird Bernadette auf Geheiß der Dame eine Quelle freilegen, ein Rinnsal zunächst, das fortan in Lourdes für wundersame Heilungen sorgen wird.
Klar, dass ein Sturm theologischer Diskussionen aufbricht, eine bischöfliche Kommission nimmt sich der Vorgänge an. Es muss sich um die Jungfrau Maria handeln, da ist man sich bei der Geistlichkeit sicher.
Nach wenigen Wochen ist die ganze Herrlichkeit vorüber, die „weiße Dame“ hat sich verabschiedet. Bernadette ist wieder ihrem Alltag und ihren Asthmaanfällen überlassen. Sie zieht sich mehr und mehr in ihre Welt zurück, wird bald ins Kloster nach Nerves geschickt, während die restliche Welt auf Lourdes schaut – Reporter und Fotografen drängen zur Quelle, um Blitzheilungen in Wort und Bild zu bannen, Heilungen, die jäh den Gesetzen der Natur in den Arm fallen. In Scharen kommen die Kranken, um bei „Unserer Lieben Frau“, die inzwischen in Gips gegossen die Grotte ziert, Heilung zu erflehen. Der Rest ist Geschichte, man könnte von einer „neverending story“ sprechen.
In seinem Buch Die Visionen der Bernadette Soubirous und der Beginn der Wunderheilungen in Lourdes untersucht der Theologe und Liturgiewissenschaftler Patrick Doldendinger behutsam die Marienerscheinungen in Lourdes. Er begibt sich auf eine spannende Entdeckungsreise in die innere Erlebniswelt eines analphabetischen Armenkindes aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Bernadettes Leben beschreibt er als „entwicklungspsychologischen Leidensweg“ und bietet als Möglichkeit des Begreifens an, die Visionen als von ihr unbewusst durchgeführte Heilungsrituale zu betrachten, zu dessen therapeutischer Wirksamkeit die kollektive Deutung von Bernadettes Erlebnissen als Muttergotteserscheinungen erheblich beigetragen hat, und dessen Angelpunkt das Freilegen der Quelle in Lourdes zu sein scheint.
Gleichzeitig verzichtet Doldendinger darauf, eine jahrtausendealte Menschheitserfahrung wie die Marienerscheinungen aus der wissenschaftlichen Betrachtung auszuschließen, nur weil sie nicht in ein „aufgeklärtes Weltbild“ passt. Sein Buch, diese seriöse, psychoanalytische Aufklärung, genießt in Expertenkreisen hohe Anerkennung.
Heute ist Lourdes der größte katholische Wallfahrtsort Europas, ein Rummelplatz der Heiligkeit: Hunderte Andenkenläden säumen die Straßen, voll mit Ramsch und Plastikflaschen in Gestalt der Jungfrau Maria. Kaum vorstellbar, dass hier, zwischen all den Kaufbefehlen, noch Heilung stattfinden soll. Rein statistisch betrachtet stehen die Chancen auch nicht besonders gut, von Lourdes aus eine Wunderheilung mit nach Hause zu nehmen. Alle 7600 Heilungen sind im medizinischen Büro vollständig dokumentiert, 70 Fälle hat die römisch-katholische Kirche bis heute als Wunder anerkannt. Gemessen an der unendlichen Zahl der Pilger, die das ganze Jahr über vor allem im Rollstuhl dem heiligen Bezirk in Lourdes zustreben, scheint das eine eher magere Erfolgsquote zu sein.
Und doch, so formuliert es der Wissenschaftsautor Joachim Faulstich, »drücken die Gesichter der Gelähmten die Bereitschaft aus, die Entscheidung ihrer Heilung einer höheren Macht zu überlassen und diese Entscheidung anzunehmen. Diese Haltung scheint die Menschen für Veränderungen zu öffnen, für körperliche und vor allem für seelische.«
Erwarten die Pilger also in Wahrheit gar keine Heilung von ihren Gebrechen, sondern fahren nach Lourdes mit dem Ziel, die Fähigkeit zu erbitten, mit der Krankheit weiterleben zu können?
„Die wenigsten Pilger scheinen Heilung zu erwarten und sind auch in der Regel nicht enttäuscht, wenn sie die Stadt nach einigen Tagen wieder verlassen. Die strapaziöse Pilgerfahrt hat für viele nicht selten den Charakter eines Opfers, und das allein befreit das Bewusstsein von dem Gedanken der Aussichtslosigkeit.“
Das sogenannte Lourdes-Wasser jedenfalls weist nach Analysen keine andere Beschaffenheit auf als normales Quellwasser, nicht einmal eine Zusammensetzung, wie sie in einem Heilbad für Trinkkuren gegen bestimmte Krankheiten geeignet sein könnte.
Joachim Faulstich: „Das Wasser ist heilsam, weil die Pilger es als heilsam annehmen und nicht an seiner Wirkung zweifeln.“ //

Malteser-Lourdes-Krankendienst

Die Begleitung und Betreuung kranker und behinderter Menschen, die ohne Hilfe nicht nach Lourdes reisen könnten, ist das besondere Anliegen des Malteser-Lourdes-Krankendienstes, eines Werkes des Malteserordens, das zurückgeht auf eine Wunderheilung in Lourdes. 1948 begleitete Philipp Freiherr von Boeselager auf Bitten eines Bekannten ein schwerkrankes, im Sterben liegendes Mädchen nach Lourdes. Er brachte es in ein Hospital in der Nähe der Erscheinungs-Grotte. Als er zwei Tage später an der Gave entlang zur Grotte lief, kam ihm sein Schützling geheilt und munter entgegen. Dieses Erlebnis läutete viele Kranken- und Soldatenwallfahrten von Deutschland aus ein. Bischof Pierre Marie Théas erteilte im Angesicht des geheilten Kindes Philipp von Boeselager den Auftrag: „Sie als Deutscher haben die Aufgabe, in Lourdes Deutsche und Franzosen im Geist der Versöhnung zusammenzuführen.“ Er gründete den Malteser-Lourdes-Krankendienst. Zu Anfang nur ein Pilgerzug, sind es heute jährlich neun Züge, die ihre Reise deutschlandweit von unterschiedlichen Diözesen aus beginnen. Ein ehrenamtliches Pfleger-und Ärzteteam betreut die Kranken rund um die Uhr und stellt eine individuelle Betreuung sowie medizinische Versorgung sicher. Mehr Infos unter: www.malteser-lourdeswallfahrten.de