Von Schlafmützen
und Liebesmördern

von

Eine kleine Kulturgeschichte der Nachtkleidung.

5/2022

Bis ins 13. Jahrhundert hinein schliefen die Menschen nackt. Wärme gaben ihnen Moose, Gräser, Felle oder die Körper der Mitschläfer. Im Mittelalter kamen mehrere Lagen Decken dazu. Lediglich den Kopf bedeckten die Menschen mit Hauben, um ihn vor dem Auskühlen zu schützen.
Aus Italien hielt zu Beginn des 16. Jahrhunderts Nachtwäsche Einzug in europäische Schlafgemächer. Nicht zuletzt die Kirche, die ihre Vorstellungen von Moral den Menschen mal mehr, mal weniger nachdrücklich überzustülpen versuchte, machte dem Nacktschlafen ein Ende. Die Schlafgewohnheiten änderten sich rapide.
Am Anfang war das Nachthemd. Es glich einer schmucklosen Kutte. Bis an die Knie reichend und mit einem Ausschnitt für den Kopf wurde es von Frauen wie Männern getragen. Bei Hofe legte man Wert auf wärmende Stoffe wie Wolle oder Pelz, der Rest der Bevölkerung hatte sich mit Flachs- oder Leinenhemden zufrieden zu geben. Verzierungen wie Spitze oder Kragen wurden erst im 17. Jahrhundert populär.
Bis heute hat sich am Schnitt des Nachthemdes wenig geändert.
Um den Beischlaf so lustbefreit wie möglich zu halten, erfanden (ausgerechnet) die Franzosen das chemise cagoule, ein Nachtkleid, das an den entscheidenden Stellen Öffnungen bereithielt, um, wenn am Nachwuchs gearbeitet wurde, den Körperkontakt auf das Nötigste zu beschränken.
Die ersten Schlafanzüge waren den Männern vorbehalten: Damit ihnen „untenrum“ nicht zu kalt wurde, schlüpften sie fortan, ergänzend zum Nachthemd, in lange Unterhosen. Mitte des 17. Jahrhunderts, als Britannien den Handel mit Indien aufnahm, wurden die ersten Pyjamas von Asien nach Europa verschifft. Der Name kam aus dem Persischen. Der Pajama bestand aus einer weiter geschnitten Hose mit Taillenzug und einem passenden Überhemd.
Bis er sich im westlichen Kulturkreis durchsetzte, dauerte es noch mehr als zwei Jahrhunderte, Frauen entdeckten ihn für sich erst nach dem 1. Weltkrieg. Ähnlich wie das Nachthemd, hat der Schlafanzug sich bis heute behaupten können.
Es darf ruhig etwas frecher sein, sagten sich französische Modeschöpfer und erfanden im 18. Jahrhundert das Negligé als Antipode zum züchtigen Schlafgewand. Den Anstoß dazu gegeben haben soll die berühmteste Mätresse nach Camilla Parker-Bowles, die Marquise de Pompadour. Übersetzt bedeutet Negligé nachlässiges Kleid und diente nicht nur als bequemes Kleidungsstück in den Boudoirs, sondern hauptsächlich der Verführung.
Als Doris Day im Hollywood-Schinken Bettgeflüster eines dieser hauchdünnen Leibchen vorführte, ging ein Aufschrei durch die puritanischen USA – 300 Jahre nach Madame de Pompadour.
Die Fünfzigerjahre brachten das alberne Babydoll hervor, ein Pyjama für Frauen, das aus einem kurzen Pumphöschen und einem Oberleibchen mit Puffärmeln bestand.
Im Laufe der Zeit entfiel das Höschen und übrig blieb das Oberteil. Es ist weiter geschnitten als das Negligé und fällt glockenförmig herab. Während das Negligé mit Spitze versetzt und meist aus Seide gefertigt wird, kommt das Babydoll mit Rüschen und Schleifchen verspielt daher.
Als wohl absurdestes Nachtgewand hat der Schlafoverall sich hervorgetan, oder auch Onesie (gesprochen: Uansie). Obwohl er für nächtliche Badezimmerbesuche besonders ungeeignet ist, finden vor allem die Amerikaner ihn höchst praktisch. Mittlerweile mit Knopfleisten oder Reißverschlüssen ausgestattet, funktionierte er mit einer Öffnung im Gesäßbereich, die durch eine „Klappe“ mit Druck- oder normalen Knöpfen geöffnet und geschlossen werden konnte – wie ein Babystrampler.
Vor allen anderen Nachtmoden war die Schlafmütze, oder auch Schlafhaube oder Nachtkappe gängiges Accessoire zur Nachtzeit. Als Nacktschlafen das Normalste der Welt war, war die Bedeckung des Kopfes nicht nur zum Fernhalten von Läusen gedacht, sondern wärmte das wichtige und einzige Körperteil, das nicht durch Decken oder Felle geschützt war. Die Männer hielten es mit Zipfelmützen, die Frauen mit in Falten gelegten Hauben.
Längst ist das Nacktschlafen wieder in der Gesellschaft angekommen. Wer aber was in seinem Bett trägt oder nicht trägt, ist jedem selbst überlassen. Hauptsache ist der wohltuende Schlaf. Oder, wie Heinrich Heine uns wissen ließ : „Der Schlaf ist doch die köstlichste Erfindung“