Bis in
alle
Ewigkeit?

von

Das große Schiff Christentum fährt in unserer Gesellschaft nur noch selten über die Meere. Meist dümpelt es im Hafen vor sich hin.

1/2023

Foto: Saffu /unsplash

Das Ende der Geschichte ist klar: nach einer Herrschaft des Tieres übernimmt Gott persönlich wieder das Regiment und baut die ewige Stadt für die Guten und Gerechten.

So sagt es die Schrift. Was in der Zwischenzeit passiert ist Sache von uns Menschen. Oder besser gesagt: von uns Christen.

In Westeuropa schien Christentum lange Zeit eine sichere Sache zu sein: auf dem Boden einer langen Tradition, einer ausdifferenzierten Liturgie, eingebettet in ein umfassendes Kirchenjahr und einem starken, kulturellen Selbstverständnis in lebendiger Partnerschaft zur Alltagswelt der Menschen und ihrer Realität. Das Christentum – eine fertige Geschichte in ewigen Chorusschleifen. Das Standardangebot des Lebens. Mit Ordnung, Sinn und Klarheit.

Ein fester Anker im chaotischen Meer des Lebens, ein Schiff, geladen bis an den Bug.

Doch offensichtlich haben mehr und mehr Menschen Zweifel an der Seetüchtigkeit ihrer Religion, immer weniger begeben sich auf den schwankenden Steg und buchen eine Fahrt übers weite Meer. In zahllosen Reformkonferenzen berieten die Gremien der christlichen Kirchen schon vor Jahren über die Ursachen für das Fernbleiben der Menschen, und waren dabei vor allem mit sich selbst beschäftigt. Als dann der Missbrauch-Skandal vor allem über die katholische Kirche hereinbrach, gingen noch viel mehr Gläubige von Bord. Ein halbherziger „Synodaler Weg“, der von Rom ausgebremst wird, versucht zu retten, was nicht zu retten ist. 

Nur noch selten geht das Schiff Christentum in unserer Gesellschaft vollbesetzt auf große Fahrt. Allenfalls an den großen Feiertagen sind die Kirchenbänke voll besetzt, wenn überhaupt. Ein Ausflugdampfer auf Hafenrundfahrt, weit weg vom Ozean.

So sehr wir Christen uns bemühen, die Zukunft unseres Glaubens und unserer Kirchen in den Blick zu bekommen, müssen wir uns eingestehen: Unsere Bewegung ist ein Kreisen um den Gegenwartspunkt (Harald Welzer), ohne echten Mut, den nächsten Schritt ins Unbekannte zu tun. Dabei sind die Herausforderungen enorm: Aufarbeitung der Skandale und Opferentschädigungen, Priestermangel, Gemeindezusammenlegung, das Drohgespenst der transparenten Kirchenfinanzierung, Rückzug allerorten.

Auch die kulturelle Selbstvergewisserung erfolgt immer häufiger bloß noch indirekt, über eine Auseinandersetzung mit christlichen Geschichten, Artefakten und Symbolen. Nach Jahren einer selbstverständlichen Allianz mit der politischen Macht im Land hat das Spiel sich gedreht. Die Zeit der neuen Sachlichkeit ist vom Pragmatismus geprägt, das Ewige und das Wahre haben es schwer. Dabei stehen wir Menschen vor fundamentalen Herausforderungen: Der Ukraine-Krieg droht sich zu einem Weltkrieg auszuwachsen, Autokraten bringen sich gegen die Demokratie in Stellung, gestritten wird über Sterbehilfe und unwertes Leben, Überwachungsaktivitäten von Geheimdiensten offenbaren auf erschreckende Weise, dass ein ethischer Kompass kaum mehr zu erkennen ist. Gemacht wird, was gemacht werden kann.

Ein Sturm hat unser Leben ergriffen. Und unser Schiff, das Christentum ist kaum mehr hochseetauglich.

Zeit für eine Rückbesinnung auf das, was das Christentum wirklich auszeichnet. Zeit für Entschlackung und Zeit für Neukreation. Wir leben in der Nachfolge Jesu Christ, und wir bilden seine Kirche. Eine lebendige Kirche müsste es sein mit einem lebendigen, also veränderlichen Körper.

Im Judentum ist man sich der ständigen Evolution, der Verlebendigung der Botschaft bewusst. Schrift ist hier nichts Totes, vielmehr Aufforderung an jeden Gläubigen, die Bedeutung des Glaubensgeheimnisses im eigenen Leben zu entdecken und neu zu kreieren.

Glauben in Gott ist Neuschöpfung und nicht das Vorsetzen einer Konserve. Wir müssen unser Christentum neu entwerfen, utopisch, frei, ursprünglich. 

Ganz bestimmt nicht frei von Fehlern, aber voll von Hoffnung und Liebe.

Fangen wir an!  //